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Raus aus der Zelle

Auf dem Weg zur molekularen Chirurgie

Das wahrscheinlich wichtigste Werkzeug eines Chirurgen ist wohl das Skalpell. Mit diesem und anderen Instrumenten der modernen Medizin ist heutzutage eine Blinddarmoperation meist nur ein Routineeingriff. Noch vor gut 200 Jahren sah das ganz anders aus. Zu dieser Zeit verliefen solche Erkrankungen häufig tödlich. Dieses simple Beispiel zeigt, wie die Expansion von Wissen in Kombination mit Entwicklungen neuer Technologien und medizinischen Geräten dazu führte, dass viele Krankheiten heute operabel und dadurch kurierbar sind.

Retrovirale Infektionen

Leider funktionieren aktuelle Skalpelle nicht bei allen Krankheiten. So sind sie beispielsweise bei viralen Infektionen wirkungslos. Glücklicherweise besitzt aber unser Immunsystem einen effektiven molekularen Abwehrschutz. Dieser sorgt normalerweise dafür, dass Viren im Körper erkannt, bekämpft und oftmals ultimativ eliminiert werden. Allerdings haben sich Viren an dieses Abwehrsystem angepasst und versuchen es zu umgehen. Besonders trickreich sind hierbei die Retroviren. Sie schmuggeln ihre eigenen Gene in das Erbgut der Wirtszelle ein, werden damit sozusagen Teil der Zelle und sind deshalb nach der Integration ins Wirtsgenom für das Immunsystem nicht mehr erkennbar (Abb. 1, HIV Lebenszyklus). Als Provirus, flankiert von sequenzidentischen Wiederholungen, den „Long Terminal Repeats“ (LTR), persistieren sie in den menschlichen Zellen. Das tückische an Immundefizienzviren (HIV-1, HIV-2) ist weiterhin, dass diese Retroviren vornehmlich Zellen des Immunsystem befallen. Damit schwächen diese Viren genau die Zellen, die sie eigentlich bekämpfen sollten.

Intensive Forschung hat unser Verständnis über die molekularen Ereignisse im Lebenszyklus des HI-Virus in den letzten Jahren stark verbessert [1]. Heute zur Verfügung stehende Therapien gegen HIV/AIDS basieren auf der Hemmung viraler Enzyme, oder der Blockierung der Fusion zwischen Virus und Zelle. Die Kombination dieser Ansätze stellt die Grundlage der hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART) dar, die zu einer deutlichen Verlängerung der Lebenserwartung bei HIV-Patienten geführt hat. Allerdings ist diese Therapie nicht in der Lage, das Virus aus den Zellen zu entfernen. Damit müssen die Medikamente, häufig mit starken Nebenwirkungen, zeitlebens eingenommen werden. Zudem entwickeln sich mit der Zeit oft resistente Viren, bei denen die Medikamente nicht mehr wirken [2].
Neue Ansätze im Kampf gegen AIDS sind daher von Nöten. Idealerweise würde man, analog zum Entfernen des entzündeten Wurmfortsatzes, mit einem „ Nano-Skalpell“ das Provirus aus dem Wirtsgenom wieder „herausschneiden“ (Abb. 1). Aber wie bekommt man so ein Nano-Skalpell, welches zielgenau das Provirus findet und spezifisch aus den Zellen entfernt?

Sequenz-spezifische Rekombinasen

Molekulare Skalpelle findet man in der Tat in der Natur. Sequenzspezifische Rekombinasen sind in verschiedenen Organismen natürlich vorkommende Enzyme, die in der Lage sind, DANN Segmente neu zu orientieren bzw. zu kombinieren und dadurch vielfältige biologische Funktionen auszuüben [3]. Eines der am besten untersuchten ist die Cre Rekombinase des Bakteriophagen P1, die seit mehreren Jahren vielfältige Laboranwendungen, besonders bei mausgenetischen Untersuchungen, findet. So katalysiert Cre die ortsspezifische Rekombination von DNA Bereichen, die loxP DNA Zielsequenzen enthalten, einer spezifischen symmetrischen Sequenz von 34 Basenpaaren Länge. Leider kommt diese 34 Basenpaarabfolge aber im HIV Genom nicht vor. Wie bringt man also die Rekombinase dazu, anstelle der loxP Sequenz eine Sequenz in den HIVLTR zu erkennen?

Entwicklung einer "Designer-Rekombinase" durch molekulare Evolution

Wie erwähnt, findet man Rekombinasen in vielen Organismen. Dabei erkennen die unterschiedlichen Rekombinasen die spezifisch an sie adaptierten DNA Sequenzen. Über Millionen von Jahren der Evolution haben sich die Enzyme und ihre Erkennungssequenzen parallel entwickelt. Was liegt also näher, die Kräfte der Evolution zu nutzen, um die Erkennungssequenz der Rekombinase auf eine DNA Sequenz des Provirus zu trimmen? Genau das erlaubt die Technologie der „Substrate Linked Protein Evolution“ (SLiPE) [4]. Mit SLiPE gelang es nun, über einen Evolutionsprozess mit über 120 Generationen, eine Rekombinase mit abgeänderter Erkennungssequenz zu züchten (Abb. 2). Die neue Rekombinase (Tre) erkennt eine asymmetrische Basenpaarabfolge, die in den LTR eines klinischen HIVIsolates vorkommt. Tre ist in der Lage das Provirus in infizierten Zellen zu finden, und es aus dem Wirtsgenom heraus zu rekombinieren. Eine „molekulare Operation“ einer Zelle zur Eradikation eines natürlich vorkommenden HIVProvirus war damit zum ersten Mal gelungen [5].

Herausforderungen an die molekulare Chirurgie

Natürlich steckt diese Technologie noch in den Kinderschuhen und viele Probleme, wie beispielsweise die effiziente und sichere Darreichungsform, sind bisher nicht gelöst. Sollten diese Probleme aber gelöst werden können, scheint eine Ära der molekularen Chirurgie möglich. Die Natur stellt ein reichhaltiges Repertoire an Werkzeugen bereit, die über molekulare Evolution an die notwendigen Erfordernisse anpassbar sind. Die Kombination von Ezymologie und Evolution könnte molekulare Operationsmethoden möglich machen, die heute noch undenkbar erscheinen.

joachim.hauber@hpi.uni-hamburg.de

buchholz@mpi-cbg.de

Literatur
[1] Freed, E.O. and A.J. Mouland, The cell biology of HIV-1 and other retroviruses. Retrovirology, 2006. 3: p. 77.
[2] Kulkosky, J. and S. Bray, HAART-persistent HIV-1 latent reservoirs: their origin, mechanisms of stability and potential strategies for eradication. Curr HIV Res, 2006. 4(2): p. 199–208.
[3] Grindley, N.D., K.L. Whiteson, and P.A. Rice, Mechanisms of Site-Specific Recombination. Annu Rev Biochem, 2006.
[4] Buchholz, F. and A.F. Stewart, Alteration of Cre recombinase site specificity by substrate-linked protein evolution. Nat Biotechnol, 2001. 19(11): p. 1047–52.
[5] Sarkar, I., et al., HIV-1 proviral DNA excision using an evolved recombinase. Science, 2007. 316(5833): p. 1912–5.

L&M 1 / 2008

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 1 / 2008.
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