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Plagiatoren und Plagiatjäger

Verantwortung in der Wissenschaft

Die Aberkennung des Doktortitels hochrangiger Politiker wie ­Karl-­Theodor zu Guttenberg, Sylvana Koch-Mehrin und Anette Schavan hat ­eine öffentliche Diskussion über Fälschungen von wissenschaftlichen ­Arbeiten in Gang gebracht, die durch alle Medien getragen wird. Tausende von Gerechtigkeitsaposteln haben sich mit Suchmaschinen im Internet an der Jagd nach Textübereinstimmungen von Dissertationspassagen mit bereits veröffentlichen Formulierungen beteiligt und ihre Meinung dazu unter Pseudonymen ins Netz gestellt. Betroffene Fakultäten hatten es eilig, ihre Empörung schon vor einer endgültigen Prüfung der Fakten – wohl auch als Selbstschutz – lauthals kundzutun.

Der ehemalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und erste Präsident des Europäischen Forschungsrats, der Münchener Biochemiker Professor Ernst-Ludwig Winnacker, äußert sich dazu in der Süddeutschen Zeitung vom 13.2.2013 kritisch über das Vorgehen der Philosophischen Fakultät der Uni Düsseldorf im Falle Schavan: „Sie hat ihre Verantwortung in vollem Umfang an das schwächste Glied in der Reihe, nämlich die damals 25-jährige Kandidatin weiter­gegeben, statt sich zu fragen, warum man nicht selbst vor gut dreißig Jahren die Arbeit gelesen und die angeblichen Fehler beim Zitieren bemängelt und korrigiert hat …“ und weiter: „Im Falle Düsseldorf war natürlich die Fakultät zutiefst befangen und hätte daher das Verfahren abgeben müssen.“ Er schlägt die Einrichtung einer zentralen Stelle für die Bearbeitung wissenschaftlichen Fehlverhaltens in Anlehnung an den „Ombudsmann für Wissenschaft“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft vor. An der Technischen Hochschule Darmstadt (TUD) gibt es solche Einrichtungen schon seit einiger Zeit. Professor Jürgen Brickmann sprach für labor&more mit dem Ombudsmann der TUD, Professor Gerhard Thiel, und dem Vorsitzenden der Ethikkommission, Professor Ulrich Göringer, über dieses Thema.

l&m: Herr Thiel, Sie sind Ombudsmann an der TU Darmstadt für Fragen des wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Was ist denn alles darunter einzuordnen?
Thiel:
Das reicht von der Frage des Fälschens von Daten über Fragen der wissenschaftlichen Ehrlichkeit, also dem Unterschlagen von Daten, bis hin zu Fragen des Plagiats, also dass jemand seine Arbeit nicht selbst geschrieben hat oder dass ein Arbeitsgruppenleiter, ohne auf die Quelle zu verweisen, zum Beispiel die Arbeiten von Studenten dann benutzt, um eigene wissenschaftliche Beiträge zu formulieren.

Wenn wir die Plagiatsproblematik einmal aufgreifen, wer könnte denn überhaupt bei Ihnen vorstellig werden?
Thiel:
Jeder innerhalb der Universität, also von Studenten bis zu Professoren­kollegen. Es ist aber auch möglich, dass von außen anonym oder nicht anonym Dinge angezeigt werden können.

Herr Göringer, Sie sind Vorsitzender der Ethikkommission. Können Sie einmal ganz kurz beschreiben, wo Sie Ihren Aufgabenbereich sehen.
Göringer:
Der Aufgabenbereich ist klar definiert. Die Mitglieder der Ethikkommission werden vom akademischen Senat der Hochschule für eine gewisse Zeit gewählt. Wir haben zwei Aufgaben: Forschungsanträge, die Untersuchungen am Menschen beinhalten oder mit menschlichen Materialien umgehen, müssen, bevor sie nach ­außen geschickt werden, auf die Einhaltung ethischer und gesetzlicher Bestimmungen überprüft werden. Jedes Mitglied der Universität kann an der Geschäftsstelle diese Anträge einreichen und wir sammeln diese Anträge und bewerten sie dann. Die zweite Aufgabe besteht darin, beratend ­tätig zu sein. Jemand an der Universität oder auch von außerhalb hat ein Proposal im Kopf und ist sich nicht ganz sicher, ob er ethische Dinge berücksichtigen muss. Da stehen wir beratend zur Verfügung. Die Überschneidung zu der Arbeit von Thiel ist auf Spezialfälle beschränkt. Es könnte in einer Arbeitsgruppe unserer Universität jemand aufstehen, der sagt: „Hier ist aus ­meiner Sicht ein ethisches Problem.“ Dann würden wir beraten, und wir würden uns mit Herrn Thiel in Verbindung setzen und versuchen, das Problem zu lösen.

Was könnte denn die Ethikkommission auszusetzen haben?
Göringer:
Zum Beispiel, dass personen­bezogene Daten nicht richtig anonymisiert werden oder dass Stress auf Probanden ausgeübt wird in einer Versuchseinrichtung, der über das zumutbare Maß hinausgeht.

Jetzt haben wir die Sachlage insofern geklärt, dass wir sagen können, für welche Art von Tätigkeit Sie beide in dieser Hochschule zur Verfügung stehen. ­Warum wir hier zusammengekommen sind, ist die Frage nach Plagiaten bei Dissertationen und insbesondere die Diskussion darüber, welche Rolle die Universität dabei einnimmt. Plagiate hat es immer schon gegeben, aber ich habe so das Gefühl, dass da ein regelrechter Hype ausgebrochen ist und professionelle Plagiatjäger nun ­alle möglichen Leute aufs Korn nehmen. Fangen wir mal bei einem realen Fall an, nämlich dem Fall von Frau Schavan in Düsseldorf. Über das Verfahren hat Herr Winnacker sich ja in der Süddeutschen Zeitung dahingehend geäußert, dass das eigentlich ein Verfahren ist, wo die Fakultät ihre Kompetenz insofern überschritten hat, dass sie nämlich ihre Befangenheit nicht erklärte und sich damit selbst begutachtet hat. Können Sie dazu was sagen? Ich würde einmal bei Herrn Göringer anfangen.
Göringer:
Per se würde ich sagen, dass wir als Universitäten gerade im Verwaltungsrecht ein genügendes Instrumentarium haben, mit solchen Fällen umzugehen. Wir können jedoch zu jedem Zeitpunkt sagen, wir haben die Expertise nicht oder wir sind befangen und holen uns ein externes Gutachten ein. Ich für mein persönliches Bedürfnis hätte mir gewünscht, dass die Düsseldorfer Kollegen es so gemacht hätten.

Thiel: Das Problem ist, dass solche Verfahren im Moment unter einem extremen öffentlichen Druck stattfinden. Wenn Düsseldorf das Prüfungsverfahren ausgelagert hätte, wäre möglicherweise von außen her ­Düsseldorf vorgeworfen worden, dass es sozusagen den schwarzen Peter abgibt. Jetzt hat es den schwarzen Peter selber in die Hand genommen und jetzt wird es auch kritisiert. Wir machen im Moment Prozesse durch, die wir vorher kaum bearbeiten mussten und machen das unter einem extremen öffentlichen Druck. Jede Universität, die jetzt irgendwie agiert, bekommt im Grunde ­genommen schon von den Zeitungen vorgeschrieben, wie sie eigentlich zu reagieren hat.

Eine Frage dazu, die das Problem des Personenschutzes angeht. Es ist ja sehr viel von dieser Universität nach draußen getragen worden, bevor überhaupt ein Prüfungsprozess stattgefunden hat.
Thiel:
Wir haben uns im Senat in Darmstadt Regeln gegeben und in diesen Regeln steht drin, dass niemand etwas über laufende Verfahren aussagen darf, also auch keine Stellungnahmen gegenüber der Presse. Das Verfahren hat dieselbe Wertigkeit wie ein Gerichtsverfahren, da werden Lebensschicksale mit entschieden. Wenn es um junge Leute geht, werden Berufsschicksale entschieden. Das alles soll nicht auf irgendeiner Boulevardebene ausdiskutiert werden.

Würden Sie dem zustimmen, dass, wenn ein solcher Fall an etwa Ihren Fachbereich herangetragen wird, Sie mehr oder weniger zwangsläufig eine externe Begutachtung in die Wege leiten würden?
Göringer:
Nicht zwangsläufig, aber ich könnte mir gute Gründe vorstellen, wo wir zu diesem Schluss kommen. Auch hängt es von dem Attribut ab: Wie prominent ist der Fall?
Thiel: Ich würde auch immer gern eine externe Meinung hören; es sollte sich jemand anschauen, der von außen kommt. Dann kommen wir mal zu dem Punkt, der die Leute betrifft, die diese Dinge ausgraben, die, sagen wir mal, als Detektive tätig werden im Internet, um Plagiate zu entdecken. Wie stehen Sie dazu? Fangen Sie mal an, Herr Göringer.
Göringer: Ich würde da gerne unterscheiden zwischen den Leuten, die ein seriöses Interesse daran haben, einen Missstand zu beheben, nennen wir die mal Whistle­blower – davor hab ich enormen Respekt, weil das in der Regel auch einhergeht mit persönlichen negativen Auswirkungen hinterher – und solchen Leuten, die das professionalisiert haben und eher unter Denunziantentum anzusiedeln sind. Da unterstelle ich, dass keine hehren Motive dahinter­­stehen. Ich halte es sogar für das gesamte System für sehr, sehr gefährlich. Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen Leuten, die solche Dinge aus monetären Gesichtspunkten machen und jemandem, der, aus welchen Gründen auch immer, einen Missstand anzeigen will, der einfach nicht in Ordnung ist.

Es gibt ja diese schöne Geschichte eines Rentners in einer norddeutschen ­Kleinstadt, der morgens mit einer Kamera durch die Stadt eilt und alle Falschparker fotografiert und die dann zur Anzeige bringt. Das ist für mich ­Denunziantentum. Der hat nichts davon ­ außer seiner Befriedigung, dass er anderen Leuten sozusagen in die Suppe ­gespuckt hat. Meinen Sie, dass die ­Motivation der Leute, die hier Anzeige machen, ähnlich ist?
Thiel: Ich kann das ja nur aus dem Internet verfolgen, was man da liest, und das liegt zwischen Realsatire bis hin zu wirklich bitter­bösen Dingen. Da leben Anwaltskanzleien davon, das Internet zu durchstöbern, um herauszufinden, ob jemand ein Bild aus Google für seine Partyeinladung kopiert hat. Wer erwischt wird, bezahlt gleich schon einmal ein paar tausend Euro. Das macht die Welt nicht besser. Und von daher ist dieser Sport, Doktorarbeiten zu durchforsten, nicht eigentlich hilfreich. Es geht dabei nicht um inhaltliche Dinge, es geht nicht darum, dass die Produktivität einer Universität oder die eines Landes erhöht wird. Es geht auch nicht darum, dass Dinge gerechter werden, weil jemand vielleicht mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einen besseren Job bekommt als jemand anders. Für mich ist die produktive Motivation hinter dem Durchforsten von Doktorarbeiten nicht nachvollziehbar.

Wenn wir diese Plagiatsjäger mal mit ihrer Methodik konfrontieren, die können ja nur Verbales nachchecken.
Thiel:
Das ist ja auch ein großes Problem. Es geht ja nicht um Inhalte.

Wird man über Suchmaschinen auch ­Inhalte überprüfen können?
Thiel:
Noch nicht. Das ist einfach eine Frage, inwieweit die Suchmaschinen besser werden. Also meine Meinung ist, dass der wichtigste Teil von Promotionen der Inhalt ist. Und wenn jemand inhaltlich abgeschrieben hat, also nicht inhaltlich selber durchdacht hat und nicht selber zu Schlüssen gekommen ist, dann hat er eine Promotion nicht verdient.

Aber dann würden Sie sagen, dass, wenn z.B. jemand die Idee hat, so und so ist das und er findet für diesen Sachverhalt, den er da beschreiben will, in irgend­einer Quelle im Internet eine Textpassage, die ihm gut gefällt, dass er diese mit Cut and Paste einführt, ohne sie zu zitieren?
Thiel:
Nein.

Göringer: Um das konkrete Beispiel nochmal aufzunehmen, hier haben wir ein klares Instrumentarium. Selbst wenn man in so einem Abschnitt Cut and Paste reinsetzt und dahinter das Zitat setzt, das eindeutig klarmacht, das stammt dort her, sehe ich überhaupt kein Problem damit. Das Zitat muss aber dabeistehen. Und ich würde sogar noch weiter gehen. Nehmen wir mal an, wir nehmen so einen Abschnitt und para­phrasieren ihn, also wir ändern am Inhalt nichts, sondern nur an den Worten etwas. Das Zitat dahinter ist das Entscheidende. Das muss man den jungen Menschen beibringen, gar keine Frage. Und wir müssen uns ­daran halten.

Es gibt wohl Leute, die sich zur Aufgabe gemacht haben, mit den Möglichkeiten des Internets systematisch (und mög­licherweise auch als Erwerbsquelle) Plagiatoren zu denunzieren. Dazu ­habe ich noch eine abschließende ­Frage: Halten Sie Denunziantentum für eine typisch deutsche ­Eigenschaft? Wir ­haben ja in der Vergangenheit große Erfahrungen gemacht mit Ehefrauen, die Ihren Ehemann bespitzelt haben, etwa in der DDR oder im Dritten Reich. Das heißt, jeder hat eigentlich jedem misstraut und versucht durch Denunziation, Pluspunkte bei der Obrigkeit oder sonst wo zu sammeln. Meinen Sie, dass das eine typisch deutsche Eigenschaft ist?
Göringer:
Also dass tradierte Dinge irgendwie auch unterschwellig weitergegeben werden, das würde ich nicht bestreiten. Irgendwie kriegen Sie mich nicht dazu, „durch die Tür zu gehen“. Aber es ist wirklich eine interessante Frage.

Lassen wir die Frage unbeantwortet. Meine Herren, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Stichwörter:
Fälschungen, Dissertation, Ethikkommission, Detektive, Plagiate, Personenschutz

L&M 4 / 2013

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 4 / 2013.
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