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Transplantation - Interview mit Prof. Dr. Gerd Otto

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Prof. Dr. Jürgen Brickmann sprach für labor&more mit dem Direktor der Transplantationschirurgie der Universitätsklinik Mainz, Prof. Dr. Gerd Otto, über Engpässe bei Organspenden und die Verteilungsmodalitäten von Spenderorganen.

Prof. Dr. Jürgen Brickmann: Es ist wohl unbestritten, dass wir in Deutschland und auch in anderen Ländern einen zunehmenden Mangel an Spenderorganen zu verzeichnen haben. Die Wartezeiten werden immer länger. Das liegt vornehmlich wohl an den gesetzlichen Vorgaben, aber auch daran, dass sich viele Mitbürger nicht mit dieser Frage auseinandersetzen. In unserem Land gilt für potenzielle Organspender die so genannte Zustimmungslösung – ähnlich wie in Großbritannien, Dänemark, den Niederlanden und einigen anderen europäischen Staaten. Was versteht man darunter genau und wie wird diese Lösung umgesetzt?

Prof. Dr. Gerd Otto: Man unterscheidet die enge Zustimmungslösung und die erweiterte Zustimmungslösung. Enge Zustimmungslösung heißt: Der Verstorbene muss zu Lebzeiten zugestimmt haben und nur dann, wenn er selbst zugestimmt hat, darf ein Organ entnommen werden. Das wäre nach meinem Dafürhalten eine saubere Lösung, ist aber undurchführbar, weil alle Einflussnahmen anderer ausgeschaltet sind. Damit würde die Organspende drastisch einbrechen. Was wir jetzt haben, ist die erweiterte Zustimmungslösung. Danach kann der mutmaßliche Wille des Verstorbenen von den Angehörigen erfragt werden.

In der Mehrzahl der europäischen Staaten gilt die Widerspruchslösung. Können Sie die Vor- und Nachteile dieser Lösung kurz erläutern?

Die Widerspruchslösung ist die Lösung, die für meine Begriffe absolute Klarheit bringt. Jeder Mensch – das hat übrigens auch noch damals der Nationale Ethikrat befürwortet – wird in seinem Leben einmal mit der Frage konfrontiert: Wenn du einen plötzlichen Hirntod stirbst, also nicht einen Tod, der mit langsamem Siechtum einhergeht, werden dir Organe entnommen, wenn du nicht dagegen protestiert hast.

Bei den bestehenden Engpässen bei den Organspenden wird eine Frage für Patienten, die auf ein Organ warten, immer wichtiger: Wie wird entschieden, ob einem Empfänger ein Spenderorgan zugeteilt wird?

Es gibt die eine höchste Dringlichkeit, das ist die High-Urgency-Klassifikation. Das bedeutet: Ein Mensch hat einen Leberausfall, der aus heiterem Himmel kommt. Ein völlig Lebergesunder hat eine Erkrankung, die dazu führt, dass die Leber schlagartig aussetzt. Eine zweite Gruppe von Patienten, die auch High-Urgency sind, ist die Gruppe derer, die transplantiert wurde. Heute wird ein Patient transplantiert, in zwei Tagen stellt sich heraus: Die Leber funktioniert nicht, aus welchen Gründen auch immer. Diese Gruppe von Patienten hat auch Anspruch darauf, als High-Urgency gemeldet zu werden und die bekommt eine neue Leber.

Wie lange würde es dauern, bis ein Organ dann zur Verfügung steht?

Das dauert in der Regel zwei bis drei Tage.

Gelegentlich geistert durch die Presse das Schlagwort vom Organhandel. Was halten Sie davon?

Organhandel in der Dritten Welt ist gang und gäbe, das ist leider so. Man kann also ohne Weiteres etwa in Indien ein Organ kaufen. Das geht bei der Niere sehr gut, bei der Leber geht es grenzwertig, aber auch das ist schon gemacht worden. Ich habe aber noch nie gehört, dass jemand wegen einer Organspende umgebracht worden ist.

Ist auch in Deutschland der Handel mit Spenderorganen im Prinzip denkbar?

Einen Handel gibt es nicht. Es gibt ganz klare Regelungen. Lebendorganspende ist nur in enger Verbundenheit zu nahe stehenden Personen erlaubt. Also man kann nicht eine Organspende durchführen bei Leuten, die man sich praktisch nur so als Zweckfreundschaft gesucht hat, man muss eine persönliche emotionale Verbundenheit nachweisen, die unter Familienangehörigen wohl gegeben ist, oder zwischen Freunden oder Bekannten, deren Beziehung für längere Zeit Bestand haben muss. Das wird schon relativ streng überprüft. Also kein verkappter Organhandel.

Wie wird bei all denjenigen potenziellen Empfängern entschieden, die nicht unter die High-Urgency-Klassifikation fallen und die keinen nahe stehenden Spender finden können?

Wir haben ein Verteilungssystem, das sich ausschließlich nach Dringlichkeit richtet.

Es gibt also Leute, die so lange warten, bis sie tot sind?

So ist es. Wir haben ein System, das in der Mayo-Klinik entwickelt worden ist und nach dem die Dringlichkeit berechnet werden kann. Die Kollegen dort haben viele Faktoren untersucht und ein Modell (end-stage liver disease, MELD) entwickelt. Dieser Score sagt bei Patienten, die eine Zirrhose haben, etwas über die Wahrscheinlichkeit aus, im nächsten Vierteljahr zu sterben (siehe Kasten; die Redaktion).
Diese Wahrscheinlichkeit, ohne Transplantation zu sterben, ist bei einer Punktezahl von 40 praktisch 100 %. Patienten mit hoher Punktezahl weisen also eine hohe Dringlichkeit für eine Transplantation auf. Also ist für sie die Chance, ein Organ zu erhalten, hoch. Selbstverständlich ist nicht auszuschließen, dass ein Patient verstirbt, ehe er das rettende Transplantat erhält. Das ist die Verteilung nach Dringlichkeit, die wir in Deutschland ausschließlich haben. Es gibt aber Erkrankungen, z.B. Leberkrebs, bei denen die MELDSkala auf der Basis von Labordaten nicht anwendbar ist. Und aus dem Grunde gibt es einen exceptional MELD oder einen match MELD und da nimmt man einen ganz einfachen Gedanken und sagt: Ich weiß, wie schnell ein Leberkrebs wächst. Diese Patienten fangen mit 22 MELD-Punkten an. Diese Punktezahl wird alle drei Monate um drei Punkte erhöht. Irgendwann haben sie dann so viele Punkte, dass sie ein Organ bekommen.

Die Wartezeit ist länger als ein Jahr, oder?

Inzwischen muss man bei diesen Patienten mit mindestens anderthalb Jahren rechnen. Das liegt nur daran, dass in Deutschland die Organspenderate so katastrophal niedrig ist, wofür letztendlich der Staat Verantwortung trägt. Übrigens ist insgesamt in Deutschland das Transplantationssystem vom Staat zu wenig geregelt.

Glauben Sie daran, dass die neue Regelung, die in den Parlamenten zurzeit diskutiert wird, eine Verbesserung der Situation bei der Organspende mit sich bringt?

Ich glaube nicht. Es wird darauf hinauslaufen, dass sich viele der Befragten weder dafür noch dagegen aussprechen. Dann müssen wieder die Angehörigen befragt werden, die über dieses Thema mit dem Verstorbenen nie gesprochen haben. Viele Menschen reden nie über dieses Thema, die Mehrzahl, würde ich sagen. Es ist also gut, einmal am Abendtisch zu sagen: Leute, also wenn ich mal gestorben bin, meine Organe können die ruhig kriegen. Wenn das nicht der Fall war, dann entscheiden die Angehörigen über die Organspende, ohne zu wissen, was der Tote eigentlich wollte. Es wird durch Fremdbestimmung über Organentnahme entschieden. Und das ist nach den Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation in zwei Dritteln aller Organentnahmen der Fall.

Wie lässt sich nach Ihrer Meinung die Situation verbessern?

Das Hauptprobleme in Deutschland ist weder die Zustimmungs- noch die Widerspruchslösung. Der Staat muss sich mehr um das Ganze kümmern. Das haben die Länder, die etwas auf die Beine gestellt haben – wie etwa Spanien – alle getan. In diesen Ländern, in denen die Widerspruchslösung gilt, beträgt die Organspenderrate
gegenüber den Ländern, in denen die erweiterte Zustimmungslösung existiert, etwa 6 Spender pro Millionen Einwohner mehr. Wir sind glücklich, wenn wir bei 14 sind, dort sind es 22.

Ich danke Ihnen für das Gespräch.

Foto: © Dr. Jürgen Brickmann

L&M 1 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 1 / 2012.
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