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Scylla und Charybdis – 235U und CO2

Das Erdbeben in Japan und das damit verbundene Kern reaktorunglück haben in der BRD die Diskussionen entfacht, inwieweit durch das Abschalten von Kernkraftwerken die Energiesicherheit infrage gestellt wird. Schon wird ein Ausbau der Kohleverstromung gefordert, um den derzeitigen und künftig zu erwartenden Bedarf zu decken (WAZ, 16.03.11). In Anbetracht der CO2-Problematik erlangen aber gerade diejenigen Prozesse und Verfahren allerhöchste Priorität, die zu einer Vermeidung und/oder Verminderung des Treibhausgases führen. Maßnahmen zur besseren Energienutzung, die Erschließung neuer Energiequellen und die Umstellung von fossilen auf regenerative Brennstoffe sind wichtige Etappen zu diesem Ziel.

Der Befund

Kohlenstoff ist mit nur 0,087 % ein seltenes Element, aber essenziell für die Biosphäre. Im Hinblick auf seine Gesamtmenge bildet die Erde ein geschlossenes System, bestehend aus Atmosphäre, Biosphäre, Lithosphäre und Hydrosphäre, in denen sich der Kohlenstoff in verschiedensten Zusammensetzungen findet. Die in Wechselwirkung miteinander stehenden Systeme bilden jeweils ein Reservoir für C:

- Lithosphäre: 77 Mio. Gt (vor allem Carbonate)

- Hydrosphäre: 918 Gt (Oberflächen wasser); 37200 Gt (Tiefenwasser)

- Biosphäre: 2269 Gt (terrestrisch); 3 Gt (maritim)

- Atmosphäre: 762 Gt

Der atmosphärische Kohlenstoff liegt vor allem als CO2, in geringem Maß wie auch als CH4 und CO vor. Sein Gehalt, der heute bei etwa 379 ppm liegt, ist eine der wesentlichen Ursachen der globalen Erwärmung. In den letzten 10.000 Jahren lag die CO2-Konzentration konstant bei 280 ppm, es bestand demnach ein temporäres Gleichgewicht zwischen Ein- und Austrag in der Atmosphäre. Dieses wird seit der indust riellen Revolution durch die Verbrennung fossiler Stoffe (etwa 7,2 Gt C a-1) permanent gestört. Eine Rückkehr zu geringeren CO2-Konzentrationen kann nur über einen verminderten Eintrag in die Atmosphäre bzw. durch zusätzliche Speichertechniken erreicht werden.

CO2-Quellen

Die Energiewirtschaft erzeugt die größten Emissionen. Obwohl die Abgase in großen Mengen anfallen, ist es schwierig, sie chemisch zu nutzen, da sie in geringer Konzentration (3 – 4 % des Abgases) und durch Katalysatorgifte verunreinigt anfallen. Bei IGCC-Kraftwerken (Integrated Gasification Combined Cycle) ist das aber nicht der Fall, weil dort die Vergasung von Kohle mit einer CO2-Wäsche kombiniert und der Strom in nachgeschalteten Gas- und Dampfturbinen erzeugt werden. In der Eisen- und Stahlindustrie fallen große Mengen CO2 an, der Anteil im Abgas ist mit 20 – 27 % hoch und eignet sich damit für eine Abtrennung und Weiterverwendung. Dazu müssen aber SO2, NOx und andere Schadstoffe abgetrennt werden.

Die Zementindustrie mit weltweit etwa 1180 Werken erzeugt einen Gesamtausstoß an CO2 von über 0,1 Gt a–1. Auch dort ist die Konzentration an CO2 hoch (14 – 33 %), erfordert aber auch die Abtrennung von Schadgasen und Spurenelementen. Erdölraffinerien sind ebenfalls CO2- Quellen mit etwa 3 % des Gesamteintrags. Je nach Verarbeitung liegen die Konzentrationen in den Abgasen bei 3 – 13 %. In der chemischen Industrie entsteht CO2 als Nebenprodukt teilweise in hoher Reinheit und wird deshalb für manche Synthesen verwendet. Die derzeit zur Verfügung stehende Menge übersteigt jedoch den derzeitigen Bedarf. Der Verkehr mit 24 % und das Verfeuern fossiler Stoffe vor allem zum Heizen mit etwa 14 % sind weitere bedeutsame Quellen des CO2-Ausstoßes. Dabei handelt es sich um viele kleine und mobile CO2-Quellen, eine Abtrennung und/oder eine Weiterverwendung kommt hier nicht infrage. Die Geister, die ich rief... Obwohl der Ausbau von Energiewandlung und Stromerzeugung aus regenerativen Quellen (Sonne, Wind, Biomasse) in der BRD gut voranschreitet, müssen bei Wegfall der Kernkraft derzeit noch 70 % der Stromerzeugung aus fossilen Stoffen erzeugt werden. Soll das Ziel der Bundesregierung erreicht werden, die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 % gegenüber 1990 zu senken, müssen diese von den Kraftwerkbetreibern reduziert werden. Wichtigste Maßnahmen sind die Erhöhung der Wirkungsgrade in Kraftwerken von zurzeit 45 auf 50 % und die Deponierung. Mit der Erstgenannten kann die Emission um etwa 10 % gesenkt werden, ein Brennstoffwechsel von Kohle zu Erdgas ergibt etwa 50 % weniger Emission. Die Abtrennung des CO2 und anschließende Deponierung (Carbon Capture and Storage, CCS) verringert die Emission um mindestens 90 %. Diese Herangehensweise an das Problem besitzt damit die höchste Effizienz. Bezahlt werden muss dies aber durch einen erhöhten Brennstoffbedarf (20 – 44 %), wenn die gleiche Menge an elektrischer Energie gewonnen werden will. Zur Abtrennung von CO2 werden verschiedene Entwicklungen verfolgt (Abb. 1):

- Rauchgaswäsche (post combustion) durch Absorber (z.B. Amine)
- Abtrennung von CO2 vor der Verbrennung (pre combustion) in Kohlekraftwerken mit integrierter Vergasung (IGCC)
- Verbrennung mit Sauerstoff und Abtrennung des Wassers (Oxyfuel-Verfahren)

Die Rauchgaswäsche mit flüssigen Absorptionsmitteln ist technisch bisher am weitesten entwickelt und gleichzeitig die einzige sinnvolle Möglichkeit zur Nachrüstung bestehender Kraftwerke. Als Waschmittel werden wässrige Lösungen von primären, sekundären und tertiären Aminen eingesetzt, darunter auch das bekannte Monoethanolamin. Nach der Absorption wird das mit CO2 umgesetzte Amin bei 100 – 130 oC wieder zersetzt. Physikalische Wäschen sind bei angestrebten Abtrennraten >90 % nur bei hohen Drücken anwendbar, wie sie in einem IGCC-Kraftwerk nach der Vergasungsstufe und dem CO-Shift (CO + H2O CO2 + H2) vorherrschen. Dabei werden Lösungsmittel wie Methanol, Polethylenglykoldimethylether oder N-Methylpyrrolidin eingesetzt. Eine Abtrennung gelingt auch durch Carbonatbildung mit einem Metalloxid. Im sich anschließenden Regenerationsschritt wird das Carbonat unter Abspaltung von CO2 wieder in das Oxid überführt. Besonders geeignet erscheint das System CaO/CaCO3, jedoch hat man bei den preiswerten Materialien Kalkstein und Dolomit eine ziemlich schnelle und dauerhafte Deaktivierung festgestellt.

Die Speicherung von CO2

Zur Speicherung von CO2 eignen sich nur Lagerstätten, die für Gas nicht durchlässig sind. Infrage kommen Salzbergwerke, Erdöl- und Erdgaslagerstätten oder die durch wasserundurchlässige Schichten begrenzten Grundwasserleiter (Aquifere). Ab etwa 800 m geht CO2 in den flüssigen Zustand (damit höherer Dichte) über, und deshalb können auch erst ab dieser Tiefe größere Mengen gespeichert werden. Als Sicherheitspuffer sollten über dem CO2-Speicher noch weitere Reservespeicher und undurchlässige Gesteinsschichten liegen. Die Unterbringung scheint nicht unproblematisch zu sein. So gibt es Diskussions- und Forschungsbedarf über die Wechselwirkung von CO2 mit der Lagerstätte, dem Grundwasser, über Störungen des Deckgebirges, das Langzeitverhalten von Bohrverschlüssen usw. Umstritten ist auch das Einleiten von flüssigem CO2 in Sedimentschichten des Meeresbodens, wobei die Wechselwirkung mit dem Tiefseewasser und vor allem der Einfluss auf das Ökosystem kaum bekannt sind. Die CCS-Technologie kann deshalb nur dann einen Beitrag leisten, wenn sichergestellt ist, dass das ausgebrachte CO2 nicht wieder in die Umwelt gelangt.

Hydrothermale Carbonisierung – die Alternative?

Von den immensen Mengen an humanem CO2-Ausstoss kann die Biosphäre nur etwa ein Drittel wieder binden. Die Chemie kann zurzeit nur mit den Massenchemikalien Harnstoff und Methanol nennenswerte Mengen (~82 Mt a-1) verarbeiten. Zur besseren Nutzung fehlen Katalysatoren, die in der Lage sind, im Prinzip Sonnenlicht als Energiequelle mit einem Reduktionsmittel (z.B. H2 aus H2O) zu koppeln und selektiv aus C-O- C-H-Bindungen zu erzeugen, um daraus Massenchemikalien und Treibstoffe herzustellen. Ein Verfahren, die hydrothermale Carbonisierung (HTC), scheint die globale Freisetzung von CO2 tatsächlich drastisch reduzieren zu können und würde die fast absurd anmutenden Unternehmungen zur CO2-Speicherung beenden. Sie gelingt allerdings nur über den Umweg der natürlichen CO2-Fixierung. Die hydrothermale Reaktion von Sacchariden wurde schon Anfang des 20. Jahrhunderts von F. Bergius und H. Specht beschrieben: „Die Anwendung hoher Drucke bei chemischen Vorgängen und eine Nachbildung des Entstehungsprozesses der Steinkohle“ (Verlag W. Kanpp 1913). Während die Carbonisierung von Biomasse zu Stein- und Braunkohle ein Jahrmillionen dauernder Prozess war, gelingt die THC innerhalb von 12 – 19 h. Sie verläuft exotherm und anaerob unter Zusatz von Citronensäure oder FeSO4 als Katalysator. Nach 12 Stunden bei 180 °C sind die Edukte – pflanzliches Material – vollständig umgesetzt, es liegt dann je nach Prozessführung ein wässriger Kohlenstoffschlamm oder Humus vor. M. Sevillia et al. konnten zeigen (Carbon 47 (2009), 2281–2289), dass bei der THC aus Cellulose Mikrokugeln aus Kohlenstoff mit einer Größe von 2 – 5 mm entstehen. Der Festkörper besteht aus kleinen Clustern kondensierter Benzolringe mit stabilen Sauerstofffunktionen im Inneren (Ether, Chinone, Pyrone) und reaktiveren, hydrophilen Gruppen (OH, CO, COOH) in der Peripherie (Abb. 2). Das HTC-Verfahren besitzt nach derzeitigem Wissensstand das Potential, der Atmosphäre CO2 über den natürlichen Weg der Fotosynthese mit größter Effektivität zu entziehen. Es ist allen bisherigen Verfahren der Umwandlung von Biomasse zur Reduktion des CO2-Ausstoßes bei Weitem überlegen (Abb. 3). Die Geschwindigkeit und die Thermodynamik des Verfahrens machen es zu einem technisch attraktiven und realistischen Instrument der CO2-Fixierung. Noch muss aber abgewartet werden, wie sich die Reaktion großtechnisch durchführen lässt.

Literatur

[1] F. Ausfelder et al.; Diskussionspapier Verwertung und Speicherung von CO2, Dechema 2008.
[2] Positionspapier Verwertung und Speicherung von CO2, VCI, 2009.
[3] Feuerlöscher oder Klimakiller? Kohlendioxid CO2- Fassetten eines Moleküls; DBG, Dechema, GDCH, VCI 2011.

L&M 3 / 2011

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 3 / 2011.
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