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Dosimeter oder Biosensor?

Strahleneffekte

Welche Wirkung hat ionisierende Strahlung auf den Menschen? Bei hohen Dosen lässt sich diese Frage leicht beantworten, da Effekte in der Regel direkt sichtbar und somit messbar sind. Bei niedrigen Dosen treten die Effekte allerdings nicht unmittelbar auf, sondern zeigen sich meist erst viel später, beispielsweise in Form von Veränderungen im genetischen Material und in der Bildung von Tumoren. Eine direkte Korrelation ist daher nur schwer möglich und Erklärungen durch epidemiologische Studien stoßen im Niedrigdosisbereich an ihre Grenzen. Eine neue Generation von Halbleitersensoren, die sowohl als Dosimeter als auch als Biosensor arbeiten, kann möglicherweise dazu beitragen, diese Grenze zu überwinden.

Ab welcher Dosis ist Strahlung schädlich?

Die Strahlenbiophysik befasst sich mit der Wirkung von Strahlung auf Mensch und Tier und stellt Forscher immer wieder vor neue Herausforderungen. Während man die Folgen von Bestrahlungen mit hohen Dosen sehr gut kennt, ist bis heute unklar, was bei niedrigen Dosen passiert. „Ab welcher Dosis ist Strahlung schädlich?“ und „Welche biologischen Prozesse finden im Gewebe bei einer Exposition statt?“ sind nur wenige der ungeklärten Fragen. Zur Analyse von bestrahltem Gewebe werden daher oft Biosensoren oder Lab-on-a- Chip- Systeme eingesetzt, die beispielsweise pH-Werte, Sauerstoff- und Ionenkonzentrationen oder die Temperatur erfassen. Meist finden die Messungen jedoch retrospektiv statt, das heißt, dass Proben wie beispielsweise Zellkulturen oder Blut erst nach einer Strahlenexposition untersucht und analysiert werden. Um dies zu vermeiden, sind zeitaufgelöste Detektoren notwendig, die während einer Strahlenexposition arbeiten und dabei physiologische Parameter erfassen können, ohne das biologische Umfeld in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Um anschließend eindeutige Schlussfolgerungen ziehen zu können, darf dabei aber nicht vergessen werden, dass die genaue Kenntnis der absorbierten Dosis des biologischen Materials ebenso wichtig ist wie die daraus resultierenden Effekte. Die Dosimetrie wird dabei bisher meist mit Ionisationskammern gemacht.

Auf die Größe kommt es an

Ionisationskammern wurden bereits Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelt und das Funktionsprinzip stellt immer noch den aktuellen Stand der Technik dar. Durch ionisierende Strahlung werden in einem Gasvolumen Ladungsträgerpaare erzeugt, die durch ein elektrisches Feld gesammelt werden und somit ein messbares Signal erzeugen.
Richtig eingesetzt sind Ionisationskammern sehr präzise, sie weisen aber auch einen entscheidenden Nachteil auf: Die Sensitivität ist proportional zum Detektionsvolumen, das heißt: je größer der Detektor ist, desto genauer kann gemessen werden. Diese Eigenschaft steht aber den Entwicklungen im medizinischen Bereich entgegen, wo eine orts- und zeitaufgelöste Dosimetrie, beispielsweise in digitalen Röntgenaufnahmen oder Computertomografen, immer kleinere Detektoren erfordert. Neben den Szintillationsdetektoren, bei denen die Strahlung über kleine Lichtblitze nachgewiesen wird, wurde in den letzten Jahren viel Aufwand in die Entwicklung einer neuen Generation von Sensoren gesteckt, in Halbleiterdetektoren. Die Funktionsweise ist dabei ganz ähnlich wie die der Ionisationskammer. In einem Halbleiter werden durch Strahlung Landungsträgerpaare erzeugt, die über ein elektrisches Feld gesammelt werden. Auch diese Technik birgt aber eine Reihe von Nachteilen. Unter anderem müssen die Detektoren oft gekühlt werden, um ein optimales Signal Rausch-Verhältnis und die daraus sich ergebende notwendige Sensitivität zu erhalten.

Fläche vs. Volumen

Versuche mit dem Halbleitermaterial Galliumnitrid haben gezeigt, dass dieses Material seine Leitfähigkeit unter dem Einfluss von Röntgenstrahlung ändert. Anders als bei üblichen Halbleitersensoren wird das Detektorvolumen nicht von zwei Seiten kontaktiert, sondern die Kontakte werden einseitig aufgebracht. Das Verhalten des Sensors wird somit durch Effekte an der Oberfläche zwischen den Kontakten bestimmt und nicht durch das Gesamtvolumen. Wenige Mikrometer (?m) dicke Schichten sind ausreichend, um Dosisraten im Bereich von wenigen ?Gy pro Sekunde (10-6 Gray/s) bis zu einigen mGy pro Sekunde zu messen. Die Kontakte können ebenfalls im ?m-Bereich hergestellt werden. Dadurch beträgt das Gesamtvolumen der Detektoren nur wenige ?m3. Eine zusätzliche Kühlung der Sensoren ist nicht notwendig und sie können in Flüssigkeiten und sogar in extrem aggressiven Umgebungen wie Säuren oder Basen verwendet werden. [1]

Sievert vs. Ionenkonzentration

Neben der reinen Strahlendetektion bieten die Galliumnitrid Sensoren außerdem die Möglichkeit der Erfassung weiterer für die Strahlenbiophysik wichtiger Messgrößen. Auf den Detektoren lässt sich eine nur wenige Nanometer dicke Schichtstruktur aus Aluminium- Galliumnitrid und Galliumnitrid aufbringen. Zwischen dieser Schicht bildet sich ein zweidimensionales Elektronengas aus [2]. Das heißt, direkt unter der Oberfläche existiert eine dünne Schicht mit Elektronen, die sich parallel zur Oberfläche frei bewegen können und deren Mobilität stark vom Oberflächenpotenzial abhängt. Die Galliumnitrid- Schichten wirken dabei nach außen hin isolierend. Auf der Sensoroberfläche lassen sich damit unter anderem kleinste pH-Wert-Änderungen messen [3], ein Parameter, der gerade in physiologischen Umgebungen eine wichtige Rolle spielt. Da die Oberfläche uneingeschränkt biokompatibel ist (Abb. 1), können damit sehr lokal Untersuchungen an biologischem Material wie Zellkulturen oder Gewebeschnitten durchgeführt werden. Versuche haben gezeigt, dass sich das Messverhalten der Sensoren für Oberflächenpotenziale während einer Exposition mit Röntgenstrahlung nicht verändert. Die Sensitivität beträgt 56 mV/pH, egal, ob und mit welcher Dosisrate die Sensoren bestrahlt werden. Umgekehrt beeinflusst eine Potenzialmessung auch nicht die Strahlenmessung. Ein einzelner Sensor wird in Abbildung 2 gezeigt. Die Fläche zwischen den Metallkontakten ist sensitiv auf Strahlung und der direkt darauf befindliche 30 ?m breite und 50 nm hohe Schichtkanal für das zweidimensionale Elektronengas ist wiederum sensitiv auf Ober flächenpotenziale. Da die Detektoren elektrisch gesteuert und ausgelesen werden, ist somit die Möglichkeit gegeben, physiologische Größen online während Bestrahlungen zu erfassen und gleichzeitig sehr exakt die Dosen einer Strahlenexposition direkt an Ort und Stelle in Echtzeit zu messen[4]. Anwendungen für derartige Sensoren gibt es viele.

Fazit

Die Detektoren können als Biosensoren, Dosimeter oder beides gleichzeitig genutzt werden. Ohne Änderung der Konfiguration sind die Sensoren beliebig einsetzbar. Gerade im Bereich der Dosimetrie lassen sie sich aufgrund ihrer Größe und ihrer Sensitivität in den verschiedensten Bereichen verwenden und müssen sich keineswegs in ihrem Leistungsspektrum vor Ionisationskammern verstecken. Gerade in der Diagnostik, Therapie und der Personen- oder Kraftwerküberwachung bietet die Kombination aus Sensitivität und Größe große Vorteile. Die simultane Messung von Oberflächenpotenzialen stellt ein neuartiges Werkzeug für die Strahlenbiophysik dar, mit dem sich die direkte Wirkung von Strahlung auf biologisches Material und dessen Mikroumgebung in geringsten Dosisbereichen messen lässt. Diese Veränderungen können in der Zukunft Aussagen über Risiken ermöglichen, wo epidemiologische Studien der Atombombenüberlebenden oder der Folgen des Tschernobyl-Unfalls längst ihre Grenzen erreichen.

Literatur
[1] Hofstetter M, Howgate J, Sharp I D, Stutzmann M, Thalhammer S: Development and evaluation of gallium nitridebased thin films for in vivo X-ray dosimetry. Phys. Med. Biol. 56: (2011) 3215-3231
[2] Ambacher O, Smart J, Shealy J R, Weimann N G, Chu K, Murphy M, Schaff W J, Eastman L F, Dimitrov R, Wittmer L, Stutzmann M, Rieger W, Hilsenbeck J. Two-dimensional electron gases induces by spontaneuos an piezoelectric polarization charges in N- and Ga-face AlGaN/GaN heterostructures. J. Appl. Phys. 85 (1999) 3222
[3] Steinhoff G, Hermann M, Schaff W J, Eastman L F, Stutzmann M, Eickhoff M. pH response of GaN surfaces and its application for pH-sensitive field-effect transistors. Appl. Phys. Lett. 83 (2003) 177
[4] Hofstetter M, Howgate J, Sharp I D, Funk M, Stutzmann M, Paretzke H G, Thalhammer S. Real-time x-ray response of biocompatible solution gate AlGaN/GaN high electron mobility transistor devices. Appl. Phys. Lett. 96 (2010) 092110

L&M 4 / 2011

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 4 / 2011.
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