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Ein Symmetriebrecher der besonderen Art: bipolare Elektrochemie

Von Janusteilchen zu leuchtenden Fischen

Ein beliebter Sport unter Chemikern ist das Brechen von Symmetrie. Geschieht dies auf der molekularen Ebene, führt es zur wohl bekannten enantioselektiven Synthese. Eine völlig andere Art des Symmetriebruchs kann dazu benützt werden, um u.a. asymmetrische, so genannte Janusteilchen zu generieren oder die kontrollierteBewegung von Mikro- und Nanoobjekten hervorzurufen. Das Einzige, was dazu benötigt wird, ist ein elektrisches Feld, dem die, sich in einer Lösung befindenden Objekte ausgesetzt werden. Die sich dabei abspielenden physikalisch-chemischen Vorgänge werden unter dem Begriffder bipolaren Elektrochemie zusammengefasst.

Die bipolare Elektrochemie hat zwar schon einen ziemlich langen Werdegang hinter sich, ihre Vorteile auf dem Gebiet der Mikro- und Nanowissenschaft sind jedoch erst in letzter Zeit erkannt worden. Sie ermöglicht die kontrollierte Oberflächenmodifizierung, eröffnet originelle Anwendungsmöglichkeiten von der analytischen Chemie bis hin zu den Materialwissenschaften und erlaubt es, neue Konzepte für künstliche Mikroschwimmer zu entwickeln. Hier sollen einige der neuesten Erfolge dieses unkomplizierten Konzepts erläutert werden, die es zu einem nützlichen Werkzeug im Bereich der Chemie und der Physik machen.

Was ist bipolare Elektrochemie?

Das Konzept der bipolaren Elektrochemie ist schon seit beträchtlicher Zeit bekannt, vor allem durch einige industrielle Anwendungen im Bereich elektrochemischer Reaktoren und Batterien, die seit den 60er-Jahrenentwickelt worden sind. Beispiele der bipolaren Elektrochemie sind unter der Bezeichnung „Wirbelbettelektrode“ für Anwendungen wie der Elektrosynthese, der Wasserspaltung und der Erhöhung der Leistung von Brennstoffzellen bekannt. Das einfache Konzept, auf dem diese Verfahren beruhen, basiert auf der Tatsache, dass ein bipolares Redoxverhalten unter dem Einfluss eines externen elektrischen Felds auf einem elektrisch leitenden Substrat ausgelöst wird [1]. Dies kann man wie folgt veranschaulichen. Betrachten wir ein leitendes Objekt, das in eine Lösung eingetaucht ist, in der ein starkes elektrisches Feld zwischen zwei Elektroden herrscht. Zwischen den beiden Seiten des Objekts entsteht eine Polarisation V, die zum elektrischen Feld E/L und den charakteristischen Dimensionen des Objekts r proportional ist.

V= 2 E r/L (1)

Ist diese Polarisation stark genug und geschieht dies in einer Lösung, die ausgewählte Reagenzien enthält, kann das u. U. zum Auslösen von zwei verschiedenen chemischen Reaktionen auf gegenüberliegenden Seiten des Objekts führen. Die negativ polarisierte Seite kann beispielsweise der Ort einer Metallionenreduktion sein, die zur Anlagerung des Metalls führt, während auf der positiv polarisierten Seite z. B. eine Elektropolymerisation zur Bildung einer Schicht eines leitenden Polymers führen kann. Befasst man sich etwas näher mit diesem Konzept, so werden sofort verschiedene Vorteile offensichtlich: Erstens gestattet es die kontrollierte Modifizierung eines Objekts unter Anwendung eines elektrochemischen Verfahrens, ohne dass eine direkte Verbindung des Objekts mit einer Elektrode notwendig wäre. Dieses drahtlose Ansteuern bedeutet, dass im Prinzip dieselben Vorgänge an Tausenden oder Millionen von Gegenständen gleichzeitig ausgelöst werden können, ein Ansatz, der für hochparallelisierte Vorrichtungen wie integrierte Mikroelektrodenanordnungen prädestiniert ist [2]. Ein zweites Argument für diese Technik ist die Tatsache, dass es sich dabei um einen der seltenen Ansätze handelt, der es ermöglicht, die räumliche Symmetrie bei einem Modifizierungsvorgang zu brechen, ohne von einer Oberfläche oder einer Grenzfläche Gebrauch zu machen. Es ist also ein einfacher Syntheseweg, um in großen Volumina asymmetrische Teilchen zu erhalten. Diese asymmetrischen Objekte – nach dem römischen Gott, der zwei verschiedene Gesichter besitzt, auch Januspartikel genannt – sind für das Studium fundamentaler und praktischer Aspekte der Mikro- und Nanotechnologie wie direktionelle Selbstorganisation, Nanoelektronik, Fotospaltung von Wasser und elektronisches Papier äußerst wichtig [3].
Im Prinzip können die Ausgangsobjekte aus jeglichem leitfähigen Material beliebiger Dimensionen und Geometrie bestehen. Wie die Gleichung [1] jedoch zeigt, erfordert ein kleineres Objekt ein höheres externes elektrisches Feld, um für das Auslösen von Redoxreaktionen ausreichend polarisiert zu werden. Das stellt ein intrinsisches Problem dar, wenn es darum geht, Modifizierungen an Objekten von Nanometergröße auszuführen. Es lässt sich errechnen, dass in diesem Fall typische externe elektrische Felder in der Größenordnung von MV/m benötigt werden, um eine asymmetrische Modifizierung zu erreichen, Werte, die kaum mit normalen Laborbedingungen zu erreichen sind. Daher ist der Großteil der bisher unter Anwendung bipolarer Elektrochemie beschriebenen Arbeiten mit ziemlich großen Objekten durchgeführt worden, in den besten Fällen mit Dimensionen im Mikrometerbereich [4]. Im Folgenden werden wir sehen, dass die mit den hohen Spanungen verbundenen Probleme umgangen werden können und somit neue Anwendungen des Konzepts der bipolaren Elektrochemie erschlossen werden konnten. Die Bandbreite der möglichen Anwendungen wird anhand einiger in unserer Gruppe ausgeführten Arbeiten illustriert.

Generierung von Janusteilchen

Um die Probleme, die mit den oben erwähnten hohen Spannungen verbunden sind – wie Blasenbildung aufgrund von Lösungsmittelzersetzung und Rotation der Objekte – während der Modifizierung zu umgehen, kann man sich eines Systems bedienen, in dem das Anoden- und das Kathodenkompartiment durch eine Kapillare getrennt sind. Während die Objekte dank der intrinsischen elektroosmotischen Strömung durch die Kapillare getrieben werden, erfahren sie gleichzeitig eine Modifizierung, wenn die erforderlichen Substanzen wie Metallsalze oder Monomere in der Lösung vorliegen. Am Auslass der Kapillare können die Januspartikel aufgefangen und charakterisiert werden. Diese von der Kapillare unterstützte bipolare Elektroabscheidung (Capillary Assisted Bipolar Electrodeposition, CABED-Verfahren) ermöglicht die selektive Modifizierung von Nanoobjekten, weil Spannungen von insgesamt bis zu 50 kV angelegt werden können, was elektrischen Feldern entspricht, die fast im MV/m-Bereich liegen. Solche Werte können routinemäßig mit herkömmlichen Kapillarelektrophoreseausrüstungen erreicht werden [5]. Dieser Ansatz konnte zum ersten Mal zur lokalisierten und selektiven Bildung von Metallclustern an Kohlenstoffnanoröhren verwendet werden. Das CABED-Verfahren kann auch für die örtlich begrenzte Modifizierung anderer Objekte wie Kohlenstoffröhren von Mikrometergröße eingesetzt werden [6]. Andere Metalle, die erfolgreich abgeschieden worden sind, sind u.a. Kupfer und Nickel. Das CABED-Verfahren hat eindeutig viele Vorteile, jedoch auch den Nachteil, dass nur sehr kleine Volumen behandelt werden können. Daher ist die Menge der hergestellten Janus-objekte ziemlich klein. Dieses Problem lässt sich durch Umgestalten der bipolaren Zelle umgehen, wodurch die Herstellung viel größerer Mengen ermöglicht wird [7]. Das Verfahren kann auch für die Ablagerung von nichtmetallischen Materialien verwendet werden, vorausgesetzt, es findet zu irgendeinem Zeitpunkt während der Materialsynthese ein Redoxprozess statt. Eine besondere Herausforderung ist die selektive Modifizierung von isotropen Teilchen. Dies ist insofern schwieriger, weil diese Teilchen sich, im Gegensatz zu anisotropen Objekten, auch im angelegten elektrischen Feld noch frei drehen können. Um diese Rotation zu verlangsamen bzw. komplett zu unterdrücken, werden der Lösung Gelierungsmittel zugesetzt, um die Viskosität zu erhöhen. Dies erlaubt dann die gezielte Generierung von Janusteilchen mit fast quantitativen
Ausbeuten.

Synthese und Antrieb von Mikroschwimmern

Um eine gerichtete Bewegung von Teilchen zu erzeugen, muss in irgendeiner Weise die Symmetrie des sich bewegenden Systems gebrochen werden. Entweder man verwendet intrinsisch asymmetrische Objekte, die sich dann unter Zuführung von chemischer oder physikalischer Energie in eine bevorzugte Richtung bewegen, oder die zugeführte Energie enthält selbst eine asymmetrische Komponente wie z. B. im Fall von elektrischen oder magnetischen Feldern. Bipolare Elektrochemie ist daher geradezu prädestiniert, in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zu spielen. Sie kann einerseits – wie oben aufgezeigt – dazu verwendet werden, um asymmetrische Objekte zu erzeugen, andererseits ist es auch möglich, durch die intrinsische Asymmetrie des verwendeten elektrischen Feldes direkt Bewegung von an sich symmetrischen Objekten hervorzurufen. Beide Wege sind von unserer Gruppe erforscht worden und werden im Folgenden anhand von einigen Beispielen kurz erläutert. Die oben beschriebenen Synthesen können u.a. dazu verwendet werden, umgezielt asymmetrische Objekte herzustellen, die als Mikroschwimmer verwendet werden können. Die einseitige Modifizierung von isotropen und vor allem anisotropen Teilchen mit ferromagnetischen Metallen wie Nickel erlaubt es z. B., mit magnetischen Feldern ansteuerbare Objekte zu erzeugen. Es ist ebenfalls möglich, auf einer Seite eines Objekts ein katalytisch aktives Metal wie z. B. Platin abzuscheiden. Wird solch ein Objekt dann einer wässerigen Lösung mit Wasserstoffperoxid ausgesetzt, ruft dessen katalytische Zersetzung die Bildung von Sauerstoffblasen hervor. Je nach lokaler Orientierung des Metallclusters in Bezug auf die Längsachse der verwendeten Kohlenstoffröhre (zentriert oder nicht zentriert) [8] kann dadurch eine lineare oder rotierende Bewegung ausgelöst werden. Da bipolare Elektroche mie intrinsisch die Symmetrie eines polarisierbaren Objektes bricht, kann in manchen Fällen auch direkt die Bewegung eines isotropen Teilchens ausgelöst werden, wenn z. B. eine der auf beiden Seiten des Objekts ausgelösten Redoxreaktionen mit einer Blasenentwicklung verbunden ist. Dieses Konzept konnte dazu verwendet werden, sowohl bei makroskopischen als auch mikroskopischen Objekten gezielt entweder lineare oder rotierende Bewegung zu erzeugen [9]. Wenn das Ganze in einem vertikal orientierten Mikrokanal durchgeführt wird (Abb. 7), lassen sich mithilfe eines solchen bipolaren Motors sogar andere Objekte in die Höhe ziehen, was für Anwendungen im Bereich der Lab-on-Chip-Technologie von Interesse sein könnte [10]. In all diesen Fällen wird Hydroquinon zur Lösung zugegeben, um die Bildung von Sauerstoffblasen zu unterdrücken und nur Wasserstoffblasen auf einer Seite des Objekts zu erzeugen, was die Bewegung effizienter macht. Will man die Oxidationsreaktion auf der positiv polarisierten Seite des Objekts ebenfalls sinnvoll nutzen, kann man z. B. auf dieser Seite Elektrochemilumineszenz auslösen. Das sich bewegende Objekt strahlt dann zeitgleich mit der Bewegung chemisch erzeugtes Licht aus [11], sozusagen ein künstliches Analogon zu Feuerfliegen oder biolumineszierenden Fischen. Eine alternative Art der Bewegung, die gleichfalls durch bipolare Elektrochemie hervorgerufen werden kann, ist die so genannte bipolare Selbsterneuerung [12]. Man stelle sich einen Körper vor, der sich auf einer Seite kontinuierlich auflöst und auf der gegenüberliegenden Seite entsprechend wächst. Dies führt zu einer scheinbaren Bewegung des Objekts, wobei man sich darüber streiten kann, ob es sich um ein und dasselbe Objekt handelt, da es ja ständig zerstört und wieder rekonstituiert wird. Im vorliegenden Fall löst sich ein Zinkdendrit kontinuierlich auf seiner positiv polarisierten Seite auf und gleichzeitig reduzieren sich in der Lösung befindliche Zinkionen auf der negativ polarisierten Seite zu metallischem Zink. Eine mehr wissenschaftliche Art und Weise diese Propulsion zu beschreiben besteht darin, das sich scheinbar bewegende Objekt als eine sich fortpflanzende chemische Welle zu betrachten. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Interesse an der biolaren Elektrochemie auf Grund des potenziellen Anwendungsspektrums in den letzten Jahren stark gewachsen ist. Dies hat innerhalb kurzer Zeit zu mehreren originellen Konzepten geführt, die einen weiten Bereich der Naturwissenschaften abdecken, angefangen von analytischer Chemie über Materialwissenschaften bis hin zur Nanotechnologie. In diesem Beitrag wurde gezeigt, dass bipolare Elektrochemie ein leistungsfähiges Werkzeug zum Lösen von Problemen der Materialwissenschaft ist, da die Toposelektivität dieser Technik die Synthese komplexer Strukturen mit genau kontrollierter Zusammensetzung wie disymmetrische Mikro- und Nanopartikel, funktionalisierte Poren oder molekulare Oberflächengradienten gestattet. Der intrinsische, durch das elektrische Feld verursachte Symmetriebruch erlaubt es weiterhin, definierte Bewegung von makroskopischen und mikroskopischen Objekten auszulösen. Es darf nicht vergessen werden, dass dieses neue Gebiet der bipolaren Elektrochemie sich noch im Frühstadium seiner Entwicklung befindet [13]. Man kann jedoch jetzt schon erwarten, dass sich in nächster Zeit viele spezifische Anwendungsmöglichkeiten herauskristallisieren werden, die wesentlich über die hier diskutierten Beispiele hinausgehen.

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Literatur
[1] M. Fleischmann et al., J Phys Chem 1986, 90, 6392.
[2] K.F. Chow et al., J Am Chem Soc 2009, 131, 8364.
[3] G. Loget et al., J Mater Chem 2012, 22, 15429.
[4] F. Mavré et al., Anal Chem 2010, 82, 8766.
[5] C. Warakulwit et al., Nano Lett 2008, 8, 500.
[6] Z. Fattah et al., Electrochim Acta 2011, 56, 10562.
[7] G. G. Loget et al., Adv Mater., 2012, 24, 5111
[8] Z. Fattah et al., J Phys Chem C 2012, in press, DOI: 10.1021/jp3064118
[9] G. Loget et al., Nature Comm 2011, 2, 535.
[10] G. Loget et al., Lab Chip 2012, 12, 1905.
[11] M. Sentic et al., Angew Chem Int Ed 2012, in press,DOI: 10.1002/anie.201206227
[12] G. Loget et al., J Am Chem Soc 2010, 132, 15918.
[13] G. Loget et al., Anal Bioanal Chem 2011, 400, 1691.

Foto: © Prof. Dr. Alexander Kuhn

L&M 7 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 7 / 2012.
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