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Von der Bildung zum Lebenslangen Lernen?

Alles, was Sie können müssten …

Erinnern Sie sich noch? „Bildung. Alles was man wissen muss“. Ein Professor für englische Literatur und Kultur provozierte im Jahr 1999 mit meinem Bildungskanon. Über diesen sollte jeder und jede verfügen, der und die sich zu den Gebildeten zählen möchte. Schwanitz (1999) zeichnet in seinem Buch ein humanistisches Bildungsideal.
Fokussiert auf Geschichte, Literatur, Kunst, Musik, Sprachkenntnisse und Länderkunde. Die Naturwissenschaften kommen dabei schlecht weg. Wurden sie vergessen?

Was wissen „Gebildete“?

Ein Buch, in dem alles Wissen gebündelt ist, das für „gebildete Menschen“ notwendig ist? Das mutet mittelalterlich an. Und so ist es. Die so genannten „sieben freien Künste“ prägten als Bildungskanon im Mittelalter das abendländische Schul- und Bildungswesen. Der Ursprung dieser Künste findet sich in der Antike: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. Von den sieben Künsten erfolgte eine Konzentration auf die ersten drei. Es entstanden Enzyklopädien, denen die Idee zu Grunde lag, Wissen der Welt in Bücher zu fassen. Soweit zu den Wurzeln.

Was heißt Bildung heute?

Internationale und regionale Mobilität. Arbeitsplatz- und Arbeitgeberwechsel. Das sind Ursachen dafür, dass Bildung nicht auf einen bestimmten Lebensabschnitt begrenzt sein kann. Schulabschluss, Berufsausbildung und/oder Universitätsexamen reichen nicht mehr aus. Spätestens seit dem Einzug moderner Informationstechnologien in unsere Gesellschaft beschleunigt sich die Wissensproduktion. Dazu steigen die absoluten Ausgaben von Staat und Wirtschaft in Forschung und Entwicklung.
Das erfordert von jedem und jeder Einzelnen Weiterbildung und Weiterdenken. Der demografische Wandel in der westlichen Welt stellt letztlich auch eine moralische Frage: Ist es gerechtfertigt, die gesamte Bildungslast einer immer kleiner werdenden zukünftigen Generationen aufzubürden? Ähnlich, wie wir es seit Jahrzehnten mit den öffentlichen Haushalten betreiben?
Dies wäre der Fall, wenn Bildung auf einen Lebensabschnitt begrenzt bleiben würde.
Aber: Menschen lernen ihr Leben lang. Menschen lernen mit zunehmendem Alter zwar selektiver, aber dennoch kontinuierlich. Ältere Menschen lernen anders. Anschluss an Bekanntes und Nutzen ist wichtiger.
Und: Bildung ist mehr als „Return on investment“. Eine Bankiersmentalität erfasst Bildung nur teilweise. Bildung ist nicht nur Last, sondern auch gesellschaftliche Teilhabe.
Deshalb sind jeder und jede Einzelne nicht nur aufgefordert, lebenslang zu lernen. Das Recht auf Bildung sollte eine Gesellschaft jedem und jeder ermöglichen.

Doch was sollte man im 21. Jahrhundert wissen?

Wissen wird vager. Das „Wissen der Menschheit“ scheint nicht fassbar. Enzyklopädien - oder seit einigen Jahren Wikipedia – dienen nur als erster Orientierungspunkt. Wir leben in einer Welt der Spezialisten. Einzelne entscheiden sich letztlich für ausgewählte Teile. Aber Wissen allein reicht nicht aus. Wir sprechen von Schlüsselkompetenzen, Soft Skills, emotionaler Intelligenz, von alten und neuen Grundkompetenzen … Aus „alles, was man wissen muss“ wird „alles, was man können müsste“. Während sich die deutschen Bildungsexperten in der Frage des Was zurückhalten, scheint die Europäische Kommission eine klare Antwort zu haben, welche Schlüsselkompetenzen für das 21. Jahrhundert notwendig seien. Bereits im Jahr 2000 unterschied sie in ihrem Memorandum für Lebenslanges Lernen (Europäische Kommission 2000) zwischen „alten“ Grundkompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen und „neuen“ Grundkompetenzen wie IT-Kenntnissen, Sprachkenntnissen, unternehmerischen Kompetenzen und Soft Skills. Im Jahr 2007 präsentiert sie in einem Referenzrahmen acht Schlüsselkompetenzen für Lebenslanges Lernen. Dabei integriert sie in ihren Kompetenzen neben Wissen auch Fähigkeiten und Einstellungen (Europäische Kommission 2007) Spätestens hier werden auch Naturwissenschaften und Einstellungen in angemessenem Umfang berücksichtigt. Die alten freien Künste verlieren die primäre Aufmerksamkeit.

Von der Bildung zum Lernen

Die Vorschläge der Europäischen Kommission haben jedoch einen Beigeschmack: Sie gehen einher mit einem Wandel von der Frage von lebenslanger Bildung zu Lebenslangem Lernen. Und damit liegt sie im Mainstream der Bildungspolitik internationaler Organisationen. Aus den Konzepten „Lifelong Education“, „Recurrent Education“ oder „Education Permanente“ der 1970er-Jahre wurde in den 1990er-Jahren „Lifelong Learning“. Aus Bildung wurde Lernen. Damit geraten Bildungssysteme und Rahmenbedingungen aus dem Blick der Aufmerksamkeit. Im Mittelpunkt heutiger Weiterbildungspraxis stehen selbstorganisierte und selbstgesteuerte Lernende. Anstatt über Weiterbildungssysteme wird über Kompetenzlisten diskutiert. Während Ersteres die Frage nach dem Angebot aufarbeitet, blicken Kompetenzen nur auf das Resultat von – wie auch immer – erfolgtem Lebenslangen Lernen. Dieser Unterschied mag für die so genannten Bildungsgewinner in der Praxis keine Rolle spielen – für Hochschulabsolventen oder erfolgreiche Führungskräfte. Sie finden ihre eigenen Wege zu Wissen und Können. Für die Bildungsverlierer macht es einen Unterschied.

Herausforderung von Bildung und Lebenslangem Lernen

Lebenslanges Lernen geschieht nicht automatisch, wo es nicht Routine ist. Studien zeigen, dass sich negative Erfahrungen im Bildungswesen mit Nichtteilnahme am außerinstitutionellen Lebenslangen Lernen fortsetzen. Lebenslanges Lernen hat tiefe emotionale und innere Züge: Wann entscheide ich mich dafür? Wann dagegen? Das sind Fragen des persönlichen Selbstbildes und der persönlichen Zumutungen. Angesicht unserer demografischen Entwicklung wird es eine Herausforderung für uns alle darstellen, möglichst alle zu integrieren. Und damit nicht nur lebenslang, sondern auch gesellschaftsweit zu lernen. Damit hat das Bildungswesen die herausfordernde Aufgabe, Menschen für Lebenslanges Lernen zu begeistern. Bildung und Lebenslanges Lernen sind so untrennbar miteinander verbunden.

egetenmeyer@uni-mainz.de

Literatur
[1] Europäische Kommission (2000): Memorandum über Lebenslanges Lernen. Brüssel. URL: http://www.bolognaberlin2003.de/pdf/MemorandumDe.pdf
[2] Europäische Kommission (2007): Schlüsselkompetenzen für Lebenslanges Lernen. Ein europäischer Referenzrahmen.Brüssel. URL: http://ec.europa.eu/dgs/education_culture/publ/pdf/ll-learning/keycomp_de.pdf
[3] Schwanitz, D. (1999): Bildung. Alles, was man wissen muss. Frankfurt/Main.

L&M 6 / 2010

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 6 / 2010.
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