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Bioregeneration - Der Wundermolch

Von Amphibien lernen

Im Ambystoma Bioregeneration Center der Medizinischen Hochschule Hannover wollen wir den Axolotl als Modelltier der plastisch-chirurgischen Forschung etablieren und zur Erarbeitung der zellulären und molekularen Mechanismen der Regeneration beitragen. Darüber hinaus verfolgen wir in gezielten Zuchtprogrammen von Ambystoma-Arten in Zusammenarbeit mit zoologischen Gärten und Amphibienverbänden den Gedanken, dass wir nur von rezenten Arten lernen können.

Klinische Folgen von Gewebeverlust beim Menschen

Erkrankungen, Unfälle und alters bedingte Degenerationserscheinungen führen im Laufe des Lebens zu Zell- und Gewebeverlusten, die erwachsene Säugetiere, damit auch Menschen, häufig nur unzureichend oder überhaupt nicht mehr ausgleichen können. Insbesondere in der plastisch-rekonstruktiven Chirurgie stellt der Bedarf an Ersatzgeweben wie Weichgeweben, Nerven, Knochen oder Haut zur Wiederherstellung der körperlichen Form und Funktion eine große Herausforderung dar [1]. Bei verminderter Eigenheilleistung greift die Medizin daher auf die Transplantation von autologem oder Fremdgewebe, auf abiologische Implantate oder extrakorporale Hilfsmittel zurück. Im Gegensatz zur körpereigenen Regeneration, mit der per definitionem verloren gegangene Strukturen in perfekter Funktionalität und Ästhetik wiederhergestellt werden, sind diese Strategien von verschiedenen Limitationen und Nachteilen geprägt. Autologe Transplantationen sind auf ausreichende Verfügbarkeit von geeignetem Spendergewebe angewiesen und bedingen eine oft nicht unerhebliche Spendermorbidität, allogene Transplantationen sind ebenfalls abhängig von passendem Gewebe und erfordern auch bei Maximierung der immunologischen Verträglichkeit eine lebenslange Immunsuppression des Empfängers. Nichtbiologische Implantate und extrakorporale Hilfsmittel erreichen oft nicht die Funktionalität des ursprünglichen Gewebes und sind von spezifischen Nachteilen wie Fremdkörperreaktionen geprägt.

Neue regenerative Strategien, die von der Natur lernen

Hier werden zunehm end neue Lösungsmöglichkeiten gesucht, die den konstanten wissenschaftlichen Fortschritt in Erkenntnissen über Zellhomö ostase und regenerativen Prozessen berücksichtigen. Dieser Gedanke wird beispielsweise im Tissue engineering realisiert, das durch Verwendung spezifischer Gerüstmaterialien, die mit Zellen besiedelt werden, und entsprechender Applikation chemischer und/oder physikalischer Reize eine Gewebebildung anregt [2]. Hier könnte eine Untersuchung der entsprechenden Signalkaskaden in Verbindung mit den zellulären Reaktionen Traumata bei regenerationskompetenten im Vergleich zu nur unzureichend regenerierenden Spezies Möglichkeiten aufzeigen, wie diese Reaktionen zu höherem Regenerationserfolg manipuliert werden können [3,4].

Regeneration – ein Grundprinzip der Natur

Ganz allgemein werden bei der reparativen Regeneration zwei Möglichkeiten unterschieden, die es dem Organismus erlauben, verloren gegangene Strukturen zu ersetzen. Zum einen kann eine solche Regenerationsleistung dadurch erfolgen, dass die verbleibenden Zellen ohne weitere Zellproliferation das verlorene Material ersetzen, dieser Vorgang wird nach T.H. Morgan als Morphallaxis bezeichnet [5]. So kann der Süßwasserpolyp Hydra seine Tentakel aus Stammzellen der gastrischen Region ersetzen. Zum anderen stellt die Zellproliferation in einem speziell ausgebildeten Regenerationsgewebe eine unabdingbare Voraussetzung der Epimorphose dar. Dieser Proliferation geht eine Dedifferenzierung der lokalen Zellen voraus, in deren Verlauf auch terminal differenzierte Zellen beispielsweise des Skelettmuskels oder des Nervengewebes wieder teilungsfähig werden. Bekanntestes Beispiel einer komplexen strukturellen Wiederherstellung ist die Gliedmaßenregeneration der urodelen Amphibien, also der Schwanzlurche. Als einzige vierfüßige Wirbeltiere sind Urodelen, also Schwanzlurche, auch als adulte Tiere gemeinhin noch in der Lage, komplexe Appendizes wie ihre Gliedmaßen und ihren Schwanz, Teile ihrer Organe wie Herz und Gehirn sowie sensorische Strukturen wie Linsen, Retina und Haarzellen zu regenerieren [6,7]. Speziesabhängige Variationen wurden beschrieben, sind aber aufgrund der Tatsache, dass die systematische Forschung sich zumeist auf die Spezies Ambystoma mexicanum und Notophtalmus viridescens beschränkt, noch nicht genau erfasst. Bei den schwanzlosen Anuren, den Fröschen, Kröten und Unken, ist die Regenerationsfähigkeit – soweit bekannt – auf die frühen Larvenstadien beschränkt.

Die Gliedmaßenregeneration der Urodelen

Die Gliedmaßenregeneration der urodelen Amphibien beginnt unmittelbar nach der Verletzung durch eine rasch einsetzende Blutstillung und einen bereits nach 24 Stunden abgeschlossenen Wundverschluss durch eine dünne Epidermis (Abbildung) [8]. In den darunterliegenden verletzten Gewebeschichten werden, durch enzymatische Prozesse vermittelt, durch Matrix Metalloproteinasen und Hydrolasen die extrazelluläre Matrix abgebaut und Zellreste werden durch Phagozystose verdaut [9]. Diese histolytischen Prozesse sind unmittelbar von einer funktionellen Wundepidermis abhängig, dagegen konnte gezeigt werden, dass ein chirurgischer Verschluss der Wundränder der Ausbildung einer funktionellen Wundepidermis entgegenwirkt und sich damit inhibitorisch auf den Regenerationsverlauf auswirkt [10]. Im normalen Verlauf verdickt sich dagegen die Wundepidermis während der sich anschließenden 5-10 Tage zum induktiven apical epithelial cap (AEC) [8,11]. Unter dem AEC kommt es bis zum ca. 15. Tag nach der Amputation zur Bildung des Regenerationsblastems, einer teilungsaktiven Zellkappe, die sich aus dedifferenzierten Zellen der Amputationsebene rekrutiert. Als essenziell für den Wiedereintritt in den Zellzyklus wurde ein Aktivierungsschritt in Abhängigkeit von Thrombin beschrieben [6]. Im Laufe der Dedifferenzierungsprozesse wurde unter anderem beobachtet, dass auch die Syncytien der quer gestreiften Skelettmuskulatur sich zu uninukleären Vorläuferzellen dedifferenzieren [12].

Das Differenzierungspotenzial der Blastemzellen

Kragl et al. stellten mit Ambystoma mexicanum Larven, die eine stabile Expression des grün fluoreszierenden Proteins GFP aufwiesen [13], dar, dass sich das Regenerationsblastem aus einer heterogenen Gruppe von Zellen zusammensetzt, die sich in unterschiedlichem, vorgeprägtem Maße an der Ausbildung der regenerierten Strukturen beteiligen. Neben einer funktionalen Identität scheint aber auch eine regionale Identität in den Blastemzellen erhalten zu bleiben, da in den heterotopen Transplantationsversuchen von Crawford und Stocum Blastemzellen nach Transplantation in eine proximal gelegene Amputationsebene auch nach intrinsischer Translokation ihrer ursprünglichen Position entsprechend distal gelegene Strukturen erzeugten [14].

Beeinflussung der liedmaßenregeneration durch das Immunsystem

In unserer Arbeitsgruppe wurde vor allem beobachtet, dass Gene mit einer immunmodulatorischen Funktion von Bedeutung für die molekulare Reaktion der Amphibien auf das schwere Trauma der Gliedmaßenamputation sind [15]. Das zur Familie der F-Box Proteinen gehörende Non-specific cytotoxic cell receptor protein 1 (NCCRP1) konnte erstmals für vierfüßige Wirbeltiere beschrieben werden und impliziert nicht nur eine evolutionäre Erhaltung der NCC, einer Sondergruppe der NK-Zellen, sondern auch deren Bedeutung bei der immunologischen Kontrolle der Gliedmaßenregeneration, da eine deutliche Expressionssteigerung gegenüber unverletztem Gewebe nachgewiesen werden konnte [16]. Die vermutlich ebenfalls bei der Kontrolle der Immunreaktion beteiligte epidermale Lipoxygenase AmbLOXe spielt auch bei der Kontrolle basaler zellulärer Reaktionen eine wichtige Rolle. So konnte gezeigt werden, dass AmbLOXe gesteigert in Regenerationsgewebe exprimiert wird. In-vitro-Modelle zeigen, dass eine Inhibition der AmbLOXe zu einer Verlangsamung von Zellmigration und Proliferation führt, Überexpression dagegen führt aber gegenüber den Kontrollen zu einer signifikant beschleunigten Migration der Zellen in einem Wundheilungsmodell [17].

Literatur
[1] Vogt P.M. (2009) Chirurg 80, 827-839
[2] Naderi H. et al. (2011) J Biomater Appl 26, 383-417.
[3] Menger B. et al. (2010) Plast Reconstr Surg 125, 260e-1e.
[4] Menger B. et al. (2010) Ann Plast Surg 65, 504-510.
[5] Agata K. et al. (2007) Dev Growth Differ 49, 73-78.
[6] Brockes J.P. & Kumar, A. (2005) Science 310, 1919-1923.
[7] Gardiner D.M. & Bryant, S.V. (1996) Int J Dev Biol 40, 797-805.
[8] Tank P.W. et al. (1976) J Morphol 150, 117-128.
[9] Yang E.V. & Bryant, S.V. (1994) Dev Biol 166, 696-703.
[10] THORNTON C.S. (1957) J Exp Zool 134, 357-381.
[11] Whited J.L. & Tabin, C.J. (2009) J Biol 8, 5.
[12] Tweedell K.S. (2010) ScientificWorldJournal 10, 954-971.
[13] Kragl M. et al. (2009) Nature 460, 60-65.
[14] Crawford K. & Stocum, D.L. (1988) Development 102, 687-698.
[15] Abuqarn M. et al. (2011) Biochim Biophys Acta.
[16] Reimers K. et al. (2006) J Comp Physiol B 176, 599-605.
[17] Menger B. et al. (2011) Ann Surg 253, 410-418

Foto: © Prof. Dr. med. Peter M. Vogt

L&M 1 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 1 / 2012.
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