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Die Karlsruher Nuklidkarte – ein interdisziplinäres Arbeitsinstrument

Die Karlsruher Nuklidkarte – ein interdisziplinäres Arbeitsinstrument

Die Schatzinsel des Universums

Wie alt ist die Mumie von Ötzi, wie kann ein Gehirntumor erfolgreich bekämpft werden, welche Strahlenbelastung herrscht im Umkreis von Fukushima und wie lange hält sie an? Um diese und ähnliche Fragen beantworten zu können, braucht man zuverlässige nukleare Daten. Bei der Recherche nach diesen Daten wird man schnell auf die Karlsruher Nuklidkarte stoßen, die seit nunmehr über 50 Jahren die entsprechenden Informationen liefert.

Elemente – Isotope – Nuklide

Wir alle erinnern uns an die Karte des Periodensystems der Elemente, die im Chemie- und Physikraum unserer Schulen vermutlich immer noch an der Wand hängt. Das Periodensystem stellt jedoch nur einen Teil aller Informationen dar, die man heute zu den Elementen hat. So gibt das Periodensystem beispielsweise keinen Aufschluss über die radioaktiven Eigenschaften der Elemente und die Strukturen ihrer Atomkerne. Die Atomkerne eines Elements bestehen aus Protonen und Neutronen, wobei die Neutronenanzahl variieren kann. Die Atome mit ihrer unterschiedlichen Neutronenanzahl nennt man Isotope eines Elements. Ein Isotop wird durch den Namen des Elements, zum Beispiel Jod (chemisches Symbol I), und die gesamte Anzahl von Protonen und Neutronen im Atomkern charakterisiert. Das stabile Isotop von Jod hat 53 Protonen und 74 Neutronen und heißt somit Jod-127 bzw. I-127. Alle anderen Isotope von Jod sind jedoch instabil, d.h. radioaktiv. Sie zerfallen durch die Emission von hochenergetischer Alpha-, Beta- und Gammastrahlung. So war z.B. im Zusammenhang mit den Reaktorunfällen von Fukushima in den letzten Wochen oft die Rede von Jod-131. Dieses radioaktive Isotop wird bei der Spaltung von Uranatomkernen in Kernkraftwerken erzeugt. Jod-131 hat 53 Protonen und 78 Neutronen. Die Anzahl seiner Atome halbiert sich innerhalb von 8 Tagen, d.h. die Halbwertszeit von Jod-131 beträgt 8 Tage.

Darstellung der Nuklide

Während man in Bezug auf ein einziges Element von Isotopen spricht, so lautet der Überbegriff für Atome mit unterschiedlicher Protonen- und Neutronenanzahl Nuklide. Insgesamt sind heute mehr als 3000 Nuklide bekannt. Eine Nuklidkarte zeigt alle diese Nuklide in einer übersichtlichen grafischen Darstellung. Dabei wird jedes Nuklid in einem eigenen Feld mit Elementnamen, Massenzahl und seinen wichtigsten Eigenschaften in einem zweidimensionalen Koordinatensystem für Protonen- und Neutronenanzahl abgebildet. In ihrer Gesamtformation ähnelt die Darstellung dem Bild einer Insel (siehe Abb. 1). Das Periodensystem der Elemente erlaubt mit der Anordnung der Hüllenelektronen in definierten Schalen eine Zuordnung der Elemente in bestimmte Gruppen und damit eine Vorhersage von chemischen Eigenschaften. Die Eigenschaften der Nuklide werden jedoch vom Aufbau der Atomkerne bestimmt. Somit kann die Nuklidkarte auch zwischen den Isotopen eines Elementes differenzieren.

Die Karlsruher Nuklidkarte

Die bekannteste Nuklidkarte, die den aktuellen Stand der Wissenschaft wiedergibt, kommt aus Karlsruhe. Die Karlsruher Nuklidkarte zeigt genaue und strukturierte Daten zu den Halbwertszeiten und Zerfallsarten der Radionuklide und den Energien der von ihnen ausgehenden Strahlung. Jedem Nuklid ist ein Kästchen mit den entsprechenden Informationen zugeordnet (Abb. 2). Die unterschiedlichen Farben der Kästchen markieren dabei die jeweilige Zerfallsart. Die Farbe Gelb kennzeichnet den Alphazerfall, den Zerfall von Beta- bzw. Beta+ geben die Farben Blau und Rot an. Grün markiert hingegen die Spontanspaltung (sf). Schwarze Kästchen bezeichnen stabile Nuklide. Von der Karlsruher Nuklidkarte profitieren die unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen. Um das Alter von Objekten mithilfe der C14-Datierung zu bestimmen, benötigen Archäologen genaueste Halbwertszeiten, die ihnen die Karte angibt. In der Strahlenmedizin werden Radionuklide eingesetzt, um Krebszellen zu bekämpfen. Die Mediziner brauchen dazu Informationen über die Energie von Alpha- und Betateilchen sowie Gamma-Photonen, die beim radioaktiven Zerfall emittiert werden. Physiker brauchen ähnliche Informationen, um die Zerfallswärme der Reaktoren in Fukushima zu berechnen. Die Karlsruher Nuklidkarte ist ein unentbehrliches interdisziplinäres Arbeitsinstrument, weil sie einen schnellen Überblick über die Eigenschaften der durch Kernreaktionen oder Kernspaltung erzeugten Radionuklide und ihrer Zerfallsprodukte ermöglicht. Dass die Isobaren (Nuklide mit gleicher Massenzahl) der Masse 5 (Abb. 2) extrem instabil sind, erklärt Kosmologen, warum in den ersten Minuten des Urknalls kaum schwerere Nuklide entstanden; das Isobar 5 ist ein Flaschenhals der Neutroneneinfangreaktionen.

Die Geschichte der Karlsruher Nuklidkarte

Der Impuls zur Entwicklung der Karlsruher Nuklidkarte kam 1956 aus einem Kurs zu radiochemischen Isotopen von Professor Walter Seelmann-Eggebert, Lehrstuhlinhaber der Radiochemie an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Seelmann-Eggebert, damals auch Leiter des Radiochemischen Instituts der Kernreaktor Bau- und Betriebsgesellschaft – dem heutigen Karlsruher Institut für Technologie (KIT) – gab 1958 zusammen mit Gerda Pfennig die erste gedruckte Karlsruher Nuklidkarte heraus (Abb. 3). Gerda Pfennig, damals am Institut für Radiochemie beschäftigt, arbeitet seit der ersten Auflage von 1958 bis heute an der Weiterentwicklung der Karte. In den folgenden Jahrzehnten wurde die Karlsruher Nuklidkarte, die von Anfang an auf großes Interesse stieß, mehrfach aufgelegt und mithilfe weiterer Autoren (H. Münzel und H. Klewe-Nebenius) überarbeitet. Die aktuelle 7. Auflage stammt aus dem Jahr 2006 (Autoren: J. Magill, G. Pfennig, J. Galy). Federführend war hier die Europäische Kommission mit ihrem Institut für Transurane in Karlsruhe.

Schon die 3. Auflage von 1968 enthielt Erläuterungen in vier Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch), 2006 kamen noch Russisch und Chinesisch hinzu.
Die erste Nuklidkarte von 1958 enthielt 267 stabile, über 1030 instabile Nuklide und 220 Isomere der damals bekannten 102 chemischen Elemente. Im Vergleich dazu gibt die neueste Auflage von 2006 Daten zu 2962 experimentell beobachteten Nukliden und 652 Isomeren von 118 Elementen wieder.

Die Zukunft der Karlsruher Nuklidkarte

Durch einen Lizenzvertrag mit der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission, Institut für Transurane, wurde Anfang 2011 die spin-off Nucleonica GmbH gegründet. Eine Aufgabe dieser Firma ist es, das nuklearwissenschaftliche Webportal NUCLEONICA zu pflegen und auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand zu halten (siehe Kasten). Eine weitere Aufgabe besteht darin, die Karlsruher Nuklidkarte weiterzuentwickeln und zu vertreiben. Bereits heute wird mit Hochdruck an der zukünftigen 8. Auflage gearbeitet. Es gibt viel zu tun – allein im letzten Jahr wurden über 100 neue Nuklide mit neuesten experimentellen Methoden in verschiedenen Labors weltweit entdeckt (z.B. Joint Institute for Nuclear Research, Dubna, Russia; GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung, Darmstadt, Deutschland; Lawrence Berkeley National Laboratory, Berkeley, California; Nishina Center for Accelerator-based Science, RIKEN, Wako, Japan – siehe beispielsweise den Beitrag aus l&m0410 zum erstmaligen Nachweis des chemischen Elementes 117: Prof. Dr. Dr. h.c. Sigurd Hofmann: Eine Reise zur magischen Insel, 2010, labor&more 4, 42–44). Das Nucleonica-Team muss diese Daten sammeln, auswerten und in die Karlsruher Nuklidkarte integrieren. Heute ist die Karlsruher Nuklidkarte in Form einer Wandkarte (0,96 m x 1,36 m) und als Broschüre mit Faltkarte (A4 Format) erhältlich. Dies bleibt auch in Zukunft so. Darüber hinaus wird es eine Auditorium-Karte, z.B. für den Hörsaal, geben. Eine Innovation ist auch die geplante elektronische Version, die dann im Wissenschaftsportal NUCLEONICA zur Verfügung stehen wird. Die Schatzinsel des Universums wird also kontinuierlich weiterwachsen.

L&M 3 / 2011

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 3 / 2011.
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