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Von „Stinkspat“ und elementarem Fluor

Von „Stinkspat“ und elementarem Fluor

Geheimnis des ­stinkenden Minerals

Fluor (Abb. 1) ist das reaktivste chemische Element. Unter geeigneten Bedingungen vereinigt es ­sich mit jedem anderen Element, außer den leichten Edelgasen He, Ne und Ar, zu chemischen Verbindungen. Bei unvorsichtiger Durchführung geht dies oft mit Entzündung einher. Auch mit chemischen ­Ver­bindungen kann Fluor heftig reagieren, selbst Ziegelsteine (im Wesentlichen ein mit Eisenoxiden ­verunreinigtes ­Aluminiumsilikat) können unter Feuererscheinung zu den entsprechenden Fluoriden (z.B. AlF3, SiF4) umgesetzt werden, wobei die Oxidionen zu O2 oxidiert werden.

Einige Spezialstähle und Sondermetalle wie ­Nickel und Monel (Legierung aus 65% Ni, 33% Cu, 2% Fe) können mit Fluor passiviert werden und widerstehen einem Angriff bis etwa 650°C bei Normaldruck, sodass sie zur Konstruktion von Apparaturen zum Umgang mit F2 bei höheren Temperaturen eingesetzt werden. Einzig hoch oxidierte Fluoride wie UF6, WF6, BeF2 oder CaF2 sind gegen F2 unter allen Bedingungen beständig – ihr Einsatz als Konstruktionsmaterial ist jedoch unmöglich oder äußerst schwierig: Aus Flussspat (Fluorit, CaF2) lassen sich feste Massen brennen oder aus CaF2-Einkristallen Rohre und Gefäße herstellen, allerdings ist ­deren mechanische Stabilität gering. Aus den besagten Gründen war und ist stellen­weise die gängige Lehrmeinung, dass elementares Fluor in der Natur (gemeint ist auf der Erde) nicht vorkommen kann, sondern das es nur gebunden in Form von Fluoridionen in Mine­ralien wie beispielsweise dem Flussspat oder dem Fluorapatit (Ca5(PO4)3F) existiert.



Abb.1 Flüssiges Fluor bei -196°C, durch ein Weinhold-Gefäß fotografiert.

Foto: Florian Kraus

Vom Flussspat zur Fluorindustrie

Der Flussspat (Abb. 2) ist bei weitem das ­wichtigste Mineral für die Wertschöpfungskette der Fluorchemie. Aus ihm wird durch Umsetzung mit Schwefelsäure Fluorwasserstoff (HF) und Anhydrit (CaSO4) hergestellt, der als Gips ­(CaSO4 . 2 H2O) in der Bauindustrie Verwendung findet. Der gewonnene Fluorwasserstoff (HF) wird unter anderem zur Herstellung von fluorhaltigen Kunststoffen wie Teflon, von Fluor­kohlenwasserstoffen für Treib-, Kühl- oder Löschmittel, von wasser- und fettabweisenden fluorhaltigen Tensiden, zur Ätzung von Glas, zur Isomerisierung von Alkanen in der Ottokraftstoffherstellung oder zur Produktion fluorhaltiger Pharmaka eingesetzt, um nur einige Anwendungsfelder zu nennen. Schätzungen besagen, dass etwa 30% der am häufigsten verkauften Arzneimittel mindestens ein chemisch gebundenes Fluoratom enthalten. In der Natur kommt CaF2 in verschiedenen Reinheiten vor – sehr reiner „Säurespat“ wird zur HF-Herstellung, etwas unreinerer „Hütten­spat“ als Flussmittel bei der Eisenmetallgewinnung eingesetzt. Von letzterer Anwendung hat der Flussspat auch seinen Namen: Georgius ­Agricola beschreibt erstmals 1530 in seinem Werk „Bermannus, sive de re metallica“, dass Flussspat den Schmelzpunkt von Eisenerz absenkt. Bereits Agricola hält in seinen Büchern fest, dass es farblosen, gelben, rötlichen, purpurfarbenen, grauen und auch fast schwarzen Flussspat gibt. Das Mineral wird aus diesem Grunde gelegentlich auch Regenbogenmineral genannt (in der Esoterik wird übrigens jeder Farbe eine eigene Wirkung zugeschrieben, was wir nicht weiter vertiefen). Die Gründe für die verschiedenen Farben des Flussspates sind gut untersucht und können beispielsweise auf den Einschluss von Seltenerdionen zurückgeführt werden. An einigen wenigen Stellen auf der Erde sind Vorkommen von CaF2 mit radioaktiven Uran- oder Thoriummineralien vergesellschaftet, zum Beispiel in Frankreich, Spanien, Ungarn, England, den USA und Kanada. Auch in Wölsen­dorf (Abb. 3), einem kleinen Dorf nördlich von Regensburg, wo lange Zeit Flussspat abgebaut wurde, ist dies der Fall. An all diesen Orten wird auch ein schwarzer Flussspat gefunden, welcher beim Zerschlagen seltsam stark riecht. Daher nannte man ­diesen schwarzen Flussspat „Stinkspat“ (Abb.2), und Arbeiter in kanadischen Uranminen nutzen den starken Geruch sogar als Indikator, dass sie eine Erzader mit hohem Urangehalt entdeckt hatten.



Abb.2 Links reiner Flussspat CaF2, rechts „Stinkspat“ aus Wölsendorf.

Foto: Florian Kraus



Abb.3 Wölsendorf (rechts) an der Bundesautobahn A93 etwa 35 km nördlich von Regensburg.

Foto: Alois Laumer

Eine Zeitreise – die Prä-F2-Ära, das Fluor und der „Stinkspat“

André-Marie Ampere stellte 1810 fest, dass Fluor­wasserstoff sowohl Wasserstoff als auch ein anderes Element enthält. Als dessen Name schlug er „phthore”, griechisch „Zerstörung” vor. In vielen Versuchen zur Isolation des „Phthore” stellte er fest, dass es einfach zu reaktiv sei, um es gewinnen zu können. Auch Humphry Davy unternahm mehrfach vergebliche Anstrengungen zur „Phthore”-Synthese und schlug 1811 den Namen Fluor (damals Fl) vor. Das Element Fluor trug somit seinen Namen schon, bevor es überhaupt isoliert wurde! 1816 hält Christian August Siegfried Hoffmann, ein Mineraloge, erstmals fest, dass der bei Wölsendorf gefundene Flussspat beim Zerschlagen einen starken eigentümlichen Geruch aufweist. Johann Nepomuk von Fuchs, Chemiker und Mineraloge, erinnert der Geruch an den des Jods, hingegen schreibt Karl Emil von Schafhäutl (Physiker und Geologe), dass der Geruch weder der des Chlors noch der des Jods sei, sondern dass die hypochlorige Säure für den Geruch verantwortlich zeichnet. Dies bestätigt Christian Friedrich Schönbein (Chemiker und Entdecker des Ozons). Franz Xaver Matthias Zippe (Mineraloge und Geologe) berichtet dann auch 1859, dass der „Antozonit“ von Wölsendorf wie Ozon rieche. Anton Schrötter, Ritter von Kristelli (Chemiker und Mineraloge) empfindet zweifelsfrei den Geruch von Ozon beim Zerreiben eines erbsengroßen Stückes in einem Achatmörser. Christian Friedrich Schönbein (s.o.) stellt fest, dass der Geruch dem des Ozons zwar ähnlich, doch deutlich verschieden ist. Durch verschiedene chemische Reaktionen zeigt er, dass der „Stinkspat“ ein starkes Oxidationsmittel enthalten muss. Schönbein ist noch überzeugter Phlogiston-Theoretiker und hält das Ozon für den elektronen-negativen Teil des Sauerstoffes. Er gibt dem „Stinkspat” den mineralogischen Beinamen „Antozonit”, da er glaubt das „Anti-Ozon”, den elektronen-positiven Teil des Sauerstoffes, darin erkennen zu können. Quantitative „Antozon“-Bestimmungen ergaben einen Gehalt von 0,2mg/g „Antozonit“. Der berühmte Chemiker Friedrich Wöhler schreibt 1861 in einem Brief an Justus Liebig, dass er die Schönbeinschen Befunde nicht nach­vollziehen könne. Er sei der Ansicht, dass es sich bei dem Geruch um freies Fluor handeln müsse, das zudem ganz anders riecht als Ozon. Grégoire Wyrouboff, ein Naturphilosoph, hält 1866 Einschlüsse von stinkenden Kohlenwasserstoffen für die Ursache. Dies ist keineswegs abwegig, denn das Vorkommen von solchen Einschlüssen ist heute gut untersucht. Oscar Löw (Chemiker) besuchte 1881 die Wölsen­dorfer Mine. Der dort angetroffene Geruch erinnerte ihn zunächst an Chlor, er kam aber zu der Überzeugung, dass freies Fluor zugegen sein müsse: Er erhitzte „Stinkspat“ auf 310°C, um vorhandenes Ozon zu O2 zerfallen zu lassen. Dann extrahierte er 1kg dieses „Stinkspates“ mit Ammoniakwasser, filtrierte und setzte das getrocknete Filtrat mit Schwefelsäure um. Die sich entwickelten Dämpfe ätzen Glas an, was bei „normalem“ Flussspat nur in ganz geringem ­Maße der Fall war. Löw dachte, dass CeF4 für die Freisetzung von Fluor verantwortlich sei. ­Brauner, ein Mineraloge, nahm bei den thermischen Zersetzungen von CeF4 und PbF2 einen ähnlichen Geruch wie beim Zerschlagen von „Antozonit“ wahr.

Entdeckung des Fluors – die Post-­F2-Ära und der Geruch von „Stinkspat“

Im Jahre 1886 gelang es dem Franzosen Henry Moissan endlich, das elementare Fluor herzustellen, wofür er 1906 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. In einer Kooperation mit Henri Becquerel, dem Entdecker der Radioaktivität, untersuchte er „Antozonit“ aus Quincié-en-Beaujolais, Villefranche (Saône), Frankreich und kam zu der Schlussfolgerung, dass elementares Fluor und nicht Ozon darin enthalten waren. Harry W. Morse (Physiker) hält 1906 fest, dass der Geruch von „Stinkspat“ dem Geruch ähnele, den man bei der Destillation von Holz wahrnimmt und daher organischer Natur sein müsse. F. Henrich, ein königlich-bayerischer Mineraloge, berichtet in den Jahren 1914 bis 1920, dass die Farbe und der Geruch des „Stinkspates“ auf die Vergesellschaftung mit Uranmineralien zurückgeführt werden könnten. Mit 1g RaCl2 bestrahlte er CaF2 für drei Monate, worauf er eine schöne Blaufärbung aber keinen Geruch nach Fluor feststellen konnte. Daraus zog er den Schluss, dass die kurze Bestrahlung über Monate nicht ausreichend sei, aber eine lange Einwirkung über hunderttausende von Jahren zur Schwarzfärbung und Fluorbildung führen könnten. Da man am frisch zerriebenen „Stinkspat“ den Geruch von F2 feststellen konnte, schlug Henrich dies als Experiment für Chemiestudenten vor. Beim Zerreiben von „Stinkspat“ mit NaCl oder KBr wird der Geruch von Cl2 bzw. Br2 wahrgenommen. Otto Ruff, ein bedeutender deutscher Fluorchemiker, Pionier der Halogenfluoride und Entdecker von Uranhexafluorid, stellte 1920 am Geruch von zerschlagenem „Stinkspat“ reines Fluor fest und bestätigte, dass die Konzentration von O3 verschwindend gering sein müsse, wenn überhaupt vorhanden. Im Jahre 1925 entdeckt F. L. Sine im Mont­eagle township (Hastings County, Ontario) ein Antozonit-Vorkommen. Beim Zermörsern unter KI-Lösung bemerkte er die Freisetzung von I2, das er durch den Jod-Stärke-Test und durch die Farbänderung beim Lösen in Kohlenstoff­disul­fid nachwies. Quantitative Nachweise des oxidierenden Gases, dessen Identität er als Sauerstoff oder Fluor annahm, ergaben im Mittel 0,455mg/g „Antozonit“. Fünf Jahre später berichten Hugh S. Spence and R. K. Carnochan im „Report on the Wilberforce Radium Occurrence“ (Ontario, Kanada), dass das Vorkommen des schwarzen „Stinkspates“ auf seine Nähe zum Uraninit (Pech­blende, UO2) zurückzuführen sind. Der starke Geruch sei eine Hilfe für die Minenarbeiter, da man so Taschen von Uraninit-Vorkommen besser erkenne. Der Geruch ähnle dem des Ozons und sei auf freies Fluor zurückzuführen. L. Goebel notiert im gleichen Jahr, dass die „Antozonite“ schwarz und spröde seien. Das Fluor, welches aus der Neutralisation durch die Strahlung stamme, werde beim Zerreiben frei. S. Iimori schreibt 1932, dass freies Fluor im „Stinkspat“ von Wilberforce wegen der Vergesellschaftung mit radioaktiven Mineralien vorkommt. Er zerrieb „Stinkspat“ unter KI-Lösung, titrierte das entstandene Jod mit Thiosulfat-­Lösung, und bestimmte so den F2-Gehalt zu 0,015mg/g „Stinkspat“. Er merkt an, dass er die Anwesenheit von anderen Oxidationsmitteln natürlich nicht ausschließen könne. Josef Hoffmann berichtet 1938, dass F2 für den Geruch von „Antozonit“ verantwortlich sei, aber HF und O3 könnten auch anwesend sein. In James Dwight Dana‘s „Systematik der ­Mineralien“ schreiben Palache und Mitarbeiter, dass Hoffmann (1937) festgestellt habe, dass „Antozonit“ freies Fluor und Calcium enthalte, das durch Radiolyse erzeugt worden sei. Eine französische Arbeitsgruppe um Assadi beschäftigt sich mehrere Jahre (1962–1967) mit dem Geruch des „Stinkspates“ aus L’Écarpière (Frankreich), Wölsendorf, und Velence (Ungarn). Nur der Letztere enthielt F2, was durch Reaktion mit Quecksilber (Hg) zu HgF2 nachgewiesen wurde. 1967 widerrufen sie dieses Ergebnis und halten fest, dass das elementare Fluor nicht im Stinkspat enthalten sei, sondern erst beim Zerreiben oder Zerschlagen durch elektrostatische Entladungen erzeugt würde. Im Jahre 1986 gelingt Karl-Otto Christe die chemische Synthese von elementarem Fluor, ohne dass für eines der Edukte F2 hätte verwendet werden müssen.

Das Zeitalter der physiko- chemischen Analytik am Stinkspat

Heinrich und Anderson untersuchten 1965 ein stinkendes Gas aus Flussspaten einer Thoriummine. Massenspektrometrisch konnten C5- und C6-Kohlenwasserstoffe neben F2 (sic!), HF und Sauerstoffdifluorid (OF2) nachgewiesen werden. Der Geruch wurde organischen Säurefluoriden zugeschrieben. Im Jahr darauf schreibt Reimar Kranz, dass der finale Nachweis, wonach es sich bei dem Geruch um ein freies Halogen handle, noch fehlen würde. Massenspektrometrisch konnte er fluorierte Kohlenwasserstoffe, SOF2 und SO2F2 nachweisen, allerdings kein F2. 1973 können Braithwaite und Mitarbeiter das Vorhandensein von Sulfurylfluorid (SO2F2) massenspektrometrisch bestätigen und konnten ebenfalls F2 nachweisen. Vochten und Mit­ar­beiter detektierten 1977 weder Fluor noch Ozon, stattdessen SO2, SOF2, S2F2, H2S und Ar mittels hochaufgelöster Massenspektrometrie.

Untersuchungen mit ionisierender Strahlung an künstlichem Flussspat

Sir William Ramsay (Physiker) stellte 1912 CaF2 her und bestrahlte es mit Kathodenstrahlen. Er bemerkte eine violette Verfärbung des Flussspates und eine Freisetzung von Gasen, die er als SiF4, CO und O2 identifizierte. Im Folgejahr wiederholten John Norman Collie und Hubert Sutton Patterson (beides Physiker) das Experiment und konnten SiF4 und O2 nachweisen. Aus heutiger Sicht kann man davon ausgehen, dass die Radiolyse von CaF2 Fluor produzierte, welches mit dem Hauptbestandteil von Glas, SiO2, unter den Bedingungen des Experimentes zu Siliciumtetrafluorid und Sauerstoff reagierte. Jones und Mitarbeiter bestrahlten 1994 dünne Filme von CaF2 mit Elektronen. Dabei beobachteten sie die Bildung von Gasblasen und wiesen mithilfe der Photonenenergieverlustspektroskopie nach, dass es sich bei dem eingeschlossenen Gas um F2 handelt. Reichling und Mitarbeiter wiederholten 1999 das Experiment ähnlich, beobachteten eine Verfärbung von CaF2 ins Vio­lette und nahmen an, dass es sich bei den Gasblasen um F2 handelt.



Abb.4 Im Vordergrund das 19F-Festkörper-NMR-Spektrum des „Stinkspates“, im Hintergrund ein „Stinkspat“.

Foto: Rupert Hochleitner, Mineralogische Staatssammlung München

2012 – der erste zerstörungsfreie ­In-­situ-Nachweis von Fluor in der ­Natur [1]

Wir halten fest, dass bislang kein angewendetes Nachweisverfahren zerstörungsfrei war und so die These von Assadi und Mitarbeitern, dass das F2 nicht im „Stinkspat“ enthalten sei, sondern durch elektrostatische Entladung beim Zerkleinern gebildet werde, nicht widerlegt werden konnte. Zudem ist anzumerken, dass ein Zusammenhang des Vorkommens von Fluor im inerten CaF2 mit der Anwesenheit von ionisierender Strahlung als recht wahrscheinlich angesehen werden muss. Mithilfe der 19F-Festkörper-NMR-Spektroskopie gelang der zerstörungsfreie In-situ-Nachweis, dass elementares F2 im Stinkspat vorliegt. Da es sich beim „Stinkspat“ um ein natürliches Mineral handelt, welches paramagnetische Verunreinigungen wie beispielsweise Mn2+ enthalten könnte, wurde ein breiter Bereich von -1.100 bis +20.000ppm untersucht. Durch Quantifizierung der NMR-Signale konnte gezeigt werden, dass alle F-Atome der Probe erfasst und keine, beispielsweise durch paramagnetische Linienverbreiterung, übersehen wurden. Das 19Festkörper-NMR-Spektrum zeigt lediglich zwei Sig­nale: Ein Signal mit Rotationsseitenbanden und einer T1-Releaxationszeit von 64s bei -109 ppm – genau wie in reinem CaF2. Ein zweites, deutlich kleineres Signal bei 425ppm mit sehr kurzer T1-Relaxationszeit und ohne Rotationsseitenbanden – dies und ein Vergleich mit der literatur­bekannten chemischen Verschiebung von F2 zeigt, dass es sich nur um gasförmiges Fluor handeln kann (da die kritische Temperatur von F2 -128,9°C beträgt, kann es oberhalb dieser Temperatur ohnehin nicht durch Druck verflüssigt werden). Andere denkbare und zum Teil bereits diskutierte Fluorverbindungen wie OF2, HF, HOF, S2F2, SOF2, SO2F2, SiF4, zeigen eine deutlich andere chemische Verschiebung. Das nächstgelegene OF2 beispielsweise hat eine chemische Verschiebung von circa 250ppm. NMR-spektroskopische Quantifizierungen des F2-Gehalts ergaben bisher eine maximale Masse von (0,46 ± 0,06) mg pro Gramm „Stinkspat“ – ein Wert, der sehr gut mit der oben erwähnten historischen Bestimmung im Einklang steht. Durch die Festkörper-NMR-Spektroskopie konnte also zweifelsfrei festgestellt werden, dass F2 im „Stinkspat“ enthalten ist. Selbstverständlich können auch noch weitere Gase enthalten sein, deren Konzentration jedoch unterhalb der Empfindlichkeit des NMR-Experiments liegen muss. Der Geruch von frisch gebrochenem „Stinkspat“ ist auf F2 zurückzuführen und nicht etwa auf O3 oder HF, da diese deutlich anderen Geruch haben. Auch andere Fluoride wie XeF2 oder OF2 haben einen sehr verschiedenen Geruch. Die Farbe des „Stinkspates“ ist auf elementares Ca zurückzuführen, das in Form kleiner Metallcluster vorliegt. Diese kennt man von elektronenmikroskopischen Untersuchungen an CaF2, bei dem, durch die Elektronen induziert, Ca-Cluster beobachtet wurden, wodurch die Farbe des CaF2 ins Violette umschlug. Der Urangehalt des in dieser Studie untersuchten „Stinkspates“ betrug 2,93 . 10-1 Bq/g. Da der Wölsendorfer „Stinkspat“ 2–3 . 108 Jahre alt ist und die Halbwertszeit des langlebigsten und natürlich häufigsten Urannuklids 238U 4.468 . 109 Jahre beträgt, kann angenommen werden, dass die ionisierende β- und γ-Strahlung der Tochternuklide ausreichend Zeit für die Radiolyse nach Gleichung 1 hatte.

CaF2 > Ca + F2(1)

Man muss sich also vorstellen, dass das elementare Ca durch inertes CaF2 von F2 getrennt ist. Je mehr Defekte ein CaF2-Einkristall aufweist, desto schneller verfärbt er sich bei Bestrahlung. In Abwesenheit von ionisierender Strahlung sollte die Reaktion zurück zum CaF2 verlaufen – dies mag jedoch einen geologischen Zeitrahmen in Anspruch nehmen. Erhitzt man „Stinkspat“ auf 180–240°C, so ist im Dunkeln ein hellblaues bis rotviolettes Aufleuchten zu erkennen, welches nach Abkühlen und erneutem Erhitzen ausbleibt [2]. Es ist also anzunehmen, dass die Rückreaktion von Gleichung 1 abläuft. Erneute Bestrahlung kann dann wieder das Ca und F2 regenerieren.

Literatur
[1] Schmedt auf der Günne, J. , Mangstl, M., Kraus, F. (2012) Angew. Chem., 124, 7968–7971
[2] Brandl, H., Schwankner, R. J. (2000) PdN-Ch, 24–26

Stichwörter:
Fluorchemie

L&M 2 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 2 / 2014.
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